Afleveringen

  • Wie hat das Buch die Pandemie ĂŒberstanden? Dazu der Verleger Jonathan Beck: „Da waren die Ängste erstmals gross, (..) aber am Ende haben wir vielleicht nicht unsere Systemrelevanz, (..) aber unsere Resilienz bewiesen.“ – Die Schriftstellerin und TV-Literatur-Moderatorin Laura de Weck ergĂ€nzt: „Die Leute lesen mehr, die Buchhandlungen (..), die kamen mit ach und krach durch“, aber fĂŒr sie waren danach „die Auswirkungen viel stĂ€rker (..) Die Leute (..) gehen nicht mehr in die Buchhandlungen rein, oder dass sie sich gewöhnt haben, online einzukaufen (..) Aber gleichzeitig ist wĂ€hrend Corona etwas entstanden, nĂ€mlich die Buch-Communities auf den Sozialen Medien (..), riesige Communities. (..) Man möchte den Austausch mit Menschen, und ĂŒber BĂŒcher ist das eben möglich.“ De Weck zitiert dazu den Schweizer Autor Peter Bichsel: „Wenn er zwei Menschen sehe, die sich kĂŒssen, dann denke er immer, ach, die haben bestimmt das gleiche Buch gelesen.“ Durch die Book-Tok-Bewegung, so de Weck weiter „haben das so viele Stars auch aufgenommen. (..) Da sind Millionen VerkĂ€ufe, die ĂŒber diese neuen Communities laufen. (..) 2022 wurden so viele gedruckte BĂŒcher verkauft, wie noch nie an die Generation Z“.

    Was bewirkt die Zeitenwende, verstĂ€rken Krieg und Krisen den Bedarf an Orientierung? Dazu Beck: „Schreckliche Dinge passieren auf der Welt, aber wir als Verlag haben noch profitiert, weil wir dann sehr oft BĂŒcher dazu im Programm hatten (..) In dieser Hinsicht waren wir als Verlag öfters ein Krisen- und Kriegsgewinnler“.

    De Weck erzĂ€hlt, wie sehr sie von der ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk beeindruckt war, die nach Beginn des Ukrainekriegs in Klagenfurt sagte, „dass sie eigentlich ihr Vertrauen in die Literatur, in die Sprache verloren hat, (..) weil sie gedacht hatte je mehr BĂŒcher es gibt, je mehr die Menschen lesen, desto humanistischer wird eine Gesellschaft (..) Sie erwĂ€hnte aber auch, dass die Literatur Rettung sein kann fĂŒr einzelne (..) und erzĂ€hlte, dass in der Ukraine so viele BĂŒcher, gelesen, geschrieben und gedruckt werden wie noch nie“.

    Schreiben Frauen fĂŒr Frauen und MĂ€nner ĂŒber die Welt oder ist die Literatur generell weiblicher geworden? – De Weck: „Sie ist definitiv weiblicher geworden, (..) weil es viele Frauen in der Literaturbranche gibt“. Das sei aber so, „weil die Branche so schlecht bezahlt.“ Aber man sehe “in allen Verlagsprogrammen, dass es deutlich mehr Autorinnen gibt, und dass (..) Frauen eben nicht (nur) fĂŒr Frauen schreiben.“

    Ist die Literatur von ausserhalb des Westens wichtiger geworden? De Weck: „Es ist ja RealitĂ€t, dass Menschen im globalen SĂŒden immer geschrieben haben und schreiben werden. Die Frage ist, ob man sich dafĂŒr interessiert (..) Das sind einfach komplett neue Geschichten, die uns erzĂ€hlt werden. (..) weil wir alle ein bisschen satt geworden sind von den immer gleichen ErzĂ€hlungen. (..) Die Geschichte eines Mannes in der Midlife-Crisis, der seine Frau betrĂŒgt, ich kann sowas nicht mehr lesen. (..) Wir haben einfach einen Hunger nach neuen ErzĂ€hlungen (..) Mbougar Sarr, wie er da nach Frankreich aus dem Senegal gekommen ist. Das sind völlig verrĂŒckte fĂŒr mich neue ErzĂ€hlungen“.

    Lösen die Sozialen Medien die etablierte Literaturkritik, die frĂŒheren LiteraturpĂ€pste ab? Jonathan Beck: „Es gibt nicht mehr die Personen, die dann die ganze Republik zusammenbringen und sagen, das solltet ihr euch anschauen (..) Dass einzelne Romane“ in der Saison zu BĂŒchern wurden, „worĂŒber alle gesprochen haben, das ist weg“. - Den Einfluss der Sozialen Medien sieht Laura de Weck „definitiv als Demokratisierung, wie man ĂŒber BĂŒcher spricht. (..) Viele Feuilletonisten sagten (..) das ist objektiv schlechte oder gute Literatur aus vermeintlichen Kriterien, die fĂŒr alle Texte gelten (..) Das ist eben auf den Sozialen Medien genau umgekehrt“, die Leute wollen „explizit eine subjektive Meinung.“

  • Die frĂŒhere deutsche Botschafterin in den USA Emily Haber sagt ĂŒber Trump: „Ich habe einen PrĂ€sidenten und eine Administration erlebt, die sehr stark bilateral dachten, (.. und) UnzusammenhĂ€ngendes miteinander in Verbindung brachten (..), um Macht zu hebeln. (..) Zugang war nicht das Problem, aber die Halbwertzeit von Zusagen war ein Problem“. Trump habe „sich sehr oft davon leiten (lassen..), wie sich ein Land oder dessen Regierung zu ihm persönlich verhielt“.

    Der USA-Spezialist und Buchautor Josef Braml sieht in Trump „nur ein Indiz der sehr viel tiefer liegenden Probleme (..) Die amerikanische Demokratie war vorher schon defekt, sonst hĂ€tte einer wie Trump gar nicht erst PrĂ€sident werden können. (..) Wir machen uns noch kein Bild, wie seine zweite Amtszeit aussehen wĂŒrde. Dann sitzen nĂ€mlich die Erwachsenen nicht mehr im Raum (..) Er hat nĂ€mlich schon dafĂŒr vorgesorgt, dass das nĂ€chste Mal, nur noch Leute um ihn rum sind, die nicht meinen, dass sie einen Eid auf die Verfassung geschworen haben, sondern seinen Ring gekĂŒsst haben, (..) die ihm treu und loyal ergeben sind.“

    Überlebt der Rechtsstaat unter Trump? – Braml: „Trump hat drei Richter nominiert (..) die dem PrĂ€sidenten mehr Entscheidungsfreiheit auch gegenĂŒber dem Kongress geben wĂŒrden (.. und) ihm durchaus auch die Möglichkeit gĂ€ben, alle möglichen Leute zu feuern, sogar die Joint Chiefs of Staff, die höchsten MilitĂ€rs, die uns damals wirklich von Schlimmerem behĂŒtet haben. (..) Checks and Balances haben wĂ€hrend Trump ĂŒberhaupt nicht funktioniert (..) Es war dann noch der Supreme Court, der uns vor dem einen oder andern bewahrt hat. Aber nachdem er ihn selbst verĂ€ndert hat, (..) wĂ€re es dann doch fraglich, ob diese Kontrollinstanz noch so scharf greift wie bisher.“

    Zu Bidens Chinapolitik meint Haber: „Da sagen Sie, das sei die Fortsetzung und VerschĂ€rfung der Trumpschen Weges, (..) die stetige Ausdehnung besonders im Technologiebereich und der Exportkontrollen und der Investitionskontrollen, ja, das ist alles verschĂ€rft worden. Es ist auch richtig, dass in der Biden-Administration SicherheitsĂŒberlegungen immer weiter definiert werden. Aber trotzdem dĂŒrfen Sie nicht ĂŒbersehen, dass anders als in der Zeit von Trump, diese Administration das VerhĂ€ltnis zu China gegenwĂ€rtig sehr gut und sehr leise managet.“

    Da widerspricht Braml, „dass das vielleicht nicht hochkochen könnte bei Trump, aber bei Biden. (.. Dieser) hat nĂ€mlich viermal gesagt, dass er Taiwan verteidigen wĂŒrde, was absolut brandgefĂ€hrlich ist“. - Haber sieht darin Bidens Strategie der AmbiguitĂ€t. „Bei Trump wĂŒrden wir eine bizarre Kombination aus RĂŒckzug und Eskalation sehen, das ist auch gefĂ€hrlich. So wie Biden jetzt agiert, ist das VerhĂ€ltnis berechenbarer (..), als unter einem etwaigen PrĂ€sident Trump“. - Braml hingegen sieht die Gefahr, „dass wir da in eine militĂ€rische Konfrontation mit China hineinschlittern. (..). Und man hat jetzt einen Kalten Krieg vom Zaun gebrochen, (.. der) vor allem zuungunsten unserer Wirtschaft ausfallen kann“. - Dem hĂ€lt Haber entgegen: „Trump wird versuchen, in der China Politik Europa zu fragmentieren, einzelne europĂ€ische Nationen herauszugreifen, um die Spaltung voranzutreiben, und maximalistische Positionen mit einer Gruppe von europĂ€ischen Staaten durchzusetzen“

    „Anders als Herr Braml sehe ich einen substantiellen Unterschied darin, ob wir es mit einem PrĂ€sidenten zu tun haben, der multilateral agiert, Interessensausgleich versteht, auf VerbĂŒndete RĂŒcksicht nimmt und ganz anders konsultiert als ein PrĂ€sident Trump“ – Dem hĂ€lt Braml entgegen: „Ich sehe, dass Biden uns da mĂ€chtig an die Kandare nimmt. Was mich umtreibt, und nicht erst seit Trump wiederkommt: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass das eine oder andere umgesetzt werden kann, um Europa souverĂ€ner in dieser neuen Weltordnung aufzustellen (..) Wir mĂŒssen jetzt, wie man in Hamburg so schön sagt, ‚Butter bei die Fische machen‘“.

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  • Der frĂŒhere BundesprĂ€sident Joachim Gauck stellt klar, dass er „den apokalyptischen Grundton“ meines provokativen „Eingangsstatements so nicht teile. Wenn ich das höre, denke ich, was will ich, Selbstmord oder einen FĂŒhrer. (..) Wenn man die Angst, wie es in Deutschland einige tun, zu einer Nationalkultur erhebt, dann ist Zukunft weit weg. (..) Ich musste ĂŒber 70 werden, als ich zum ersten Mal mit Blick auf das Land das Wort Stolz in den Mund genommen habe, nicht Stolz, wie die Rechten sagen (..), sondern ich bin stolz auf DIESES so gewordene Deutschland, das sich aus diesem tiefsten Fall heraus zu einer beeindruckenden Form von Rechtsstaatlichkeit, von Rechtstreue der Bevölkerung, von Schaffung von Wohlstand
 und von der Friedenspolitik, dass wir ĂŒberall Freunde haben um uns herum, vom Abschied von preußischer Arroganz.“ - Ein stolzer Verfassungspatriot also? - „Ja und wir brauchen zu diesem Verfassungspatriotismus, der fĂŒr intellektuelle Menschen ganz wesentlich ist, einen Raum. Tucholsky hat Heimat einmal so benannt: Es gibt Situationen, da sagst du DU zu dem Ort, wo du bist“.

    Die Schriftstellerin Juli Zeh ergĂ€nzt: „Es sind nicht nur die BĂ€ume und die Meere und die Felder, die dieses GefĂŒhl, Du sagen zu können zu seinem Land, befördern, sondern es muss so eine Art stumme, ungeschriebene Vereinbarung noch dazu kommen, die eben nicht in der Verfassung niedergelegt ist (..) so in einer Art vorpolitischem Raum. Es gibt diesen tollen und ganz gruseligen Satz vom Verfassungsrichter Böckenförde: ‘Die Demokratie beruht auf Voraussetzungen, die sie selber nicht schaffen kann‘.( ..) Es ist so etwas wie eine stumme EinverstĂ€ndniserklĂ€rung, dass wir als BĂŒrger dieses Landes ein sich selbst verwaltendes Kollektiv sind, das irgendwie zusammengehört. Und das ist so etwas wie der Punkt, an dem wir zurzeit spĂŒren, (..) dass so eine Art Erosion einsetzt, dass viele Leute anfangen, sich un-beheimatet zu fĂŒhlen. Was darauf aber auf keinen Fall die Antwort sein kann, sind konkurrierende ApokalypseerzĂ€hlungen (.. als) Versuch, sehr komplexe Dinge einfach zu machen. (..) Wenn ich eine Apokalypse habe, dann ist die Analyse fertig und dann ist auch die Frage, was muss sich denn tun, schon beantwortet: die Antwort ist dann: alles und um jeden Preis.“

    Nach Gauck gehe es „um „Menschen, die Angst haben, nicht mehr beheimatet zu sein dort, wo sie leben. Dann entstehen Suchbewegungen (..) und dann geht es nach rechts außen und dort werden dann diese Ängste bewirtschaftet“. In „einer sich fortentwickelnden Moderne ist es eine Unbehaustheit dessen, der behaust sein will, der Verlust des Vertrauten. (..) Man hat zu wenig gearbeitet am ideellen Wert der Dinge und sich stark darauf verlassen, dass dieses Wachstumsversprechen genug Bindungswirkung und Strahlkraft hat.“

    Gauck zitiert Wilhelm Busch: „‚Nur was wir glauben, wissen wir gewiss‘. (..) Das so zu erzĂ€hlen, dass es eine persönliche wie politische Beheimatung bietet, das ist die Aufgabe derer, die die Zeiten zu deuten haben. - Dazu Zeh: „Was halt nicht gut ist, wenn man versucht, (..) diesen Glauben an genau dieses Wertefundament in gewisser Weise zu erzwingen oder zumindest zu befördern, indem man ihm eine FeinderzĂ€hlung gegenĂŒbersetzt“. Es brauche „eine positive ErzĂ€hlung, um den Menschen wieder klarzumachen: Kuck doch, wir sind doch eine Rechtsgemeinschaft und es gibt Bedrohungen, wir mĂŒssen uns zusammenschließen, wir mĂŒssen das verteidigen“.

    Schließlich gehe es, so Juli Zeh weiter, darum, „uns zu erlauben, einfach mal zu sehen, was gut ist, die Zeitfenster grösser fassen, die humanistische FortschrittserzĂ€hlung, nicht die ökonomische, die sich nicht ĂŒber 20, sondern ĂŒber 200 oder 300 Jahre erstreckt: Es ist tatsĂ€chlich so, so Vieles besser geworden und es steht nirgendwo geschrieben, dass das jetzt an einen Endpunkt gelangt ist. Es ist ein narzisstischer Reflex zu sagen, wir sind aber die letzten, es kann nicht mehr besser werden als das, was wir waren“.

  • Der Arbeitersohn Frank A. Meyer, Mitglied der Konzernleitung des Medienunternehmens Ringier, behauptet von sich selbst manchmal: „Ich bin der letzte Linke. (..) aber „was das Liberale betrifft: ich war Unternehmer und Sozialdemokrat“. Er hatte eine eigene sozial-liberale Partei gegrĂŒndet, „die beides umfasst und das Liberale gehört bei mir auch dazu, das ist mein Reflex gegen das autoritĂ€re Linke.“ – Dagegen wendet die TAZ-Journalistin Anna Lehmann ein, die sich selbst als Linke bezeichnet: „Das Liberale gehört auch zum Linkssein dazu. Es war ja der Fehler der Stalinisten (..), dass man das Liberale nicht mitdachte, dass man Freiheit oder Sozialismus sagte“.

    Warum ist die Politik außerstande, die sozialen Anliegen der Mehrheit der Bevölkerung zu lösen, Mieten, Inflation, gekĂŒrzte Staatsleistungen? Lehmann kritisiert: „Die Regierung kriegt das nicht in den Griff“. Meyer sieht das Problem in der „ganz, ganz wesentlichen Entfremdung der ganz normalen Arbeitnehmer von den linken Gruppierungen, Parteien, Erweckungsbewegungen, damit rede ich von den GrĂŒnen, das ist religiös besetzt. (..) Es gibt eine akademische Schicht, die sich die Linke gekrallt hat.“

    Dagegen Lehmann: „Ihre These ist, die Linke hat sich soweit von den Arbeitern entfernt, dass sie deren Anliegen gar nicht mehr vertritt. Ich wĂŒrde sagen, es ist anders: Die Linke ist eigentlich nicht links genug. Zum Linkssein gehört fĂŒr mich immer Kapitalismus-kritik. Wenn es darum geht, den Sozialstaat zu gestalten, dann geht es immer auch um Umverteilung und gerade das schafft die heutige Linke nicht. Sie schafft es nicht, BesitzstĂ€nde anzutasten und das ist ihr Problem."

    Es gebe zwar nicht mehr die Arbeiterklasse, so Lehmann weiter, „aber es gibt immer noch Ausbeutung (..) es gibt Leute die in AbhĂ€ngigkeit leben und einen Job haben, der meist schlecht bezahlt ist (..), das wĂŒrde man heute als prekarisierte Klasse nennen..“. Meyer fĂ€llt ihr ins Wort: „prekarisierte Klasse ? (..) Die ganze Sprache hat sich entfremdet, hat nichts mehr mit diesen Leuten zu tun.(..) Ich will gar keinen Diskurs, ich will Streit.“

    Es sei an der Zeit, „in die Berufsbildung zu investieren. Von den 170 GenderlehrstĂŒhlen, mal 120 abschaffen und das Geld umschichten zu den Berufsschulen (..), das wĂ€re linke Politik“. – Dagegen Lehmann: “das wĂ€re keine linke Politik, das was Sie beschreiben wĂ€re, zwei Anliegen gegeneinander auszuspielen Gendern gegen gute Bezahlung und eine Umverteilung (..) man muss beides machen“.

    Meyer: "Sie haben das Wort ‘alleingelassen‘ gebraucht, das ist fĂŒr mich ein typischer Begriff der deutschen Politik: ‘Wir lassen die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger nicht allein‘, das ist das Problem!" - Lehmann rĂ€umt ein: „Ich gehe mit ihnen einig, dass der Staat nicht paternalistisch sein darf und dass das zum Teil in der SPD und in anderen Parteien so drinsteckt." – Meyer: „Die rechtspopulistischen Bewegungen bewirtschaften genau das, was ich stĂ€ndig beklage, sie bewirtschaften die (..) politische Heimatlosigkeit der Menschen mit den Versprechen ‚Wir sind das Volk‘, mit voller EmotionalitĂ€t und Erfolg, der alles, was wir erkĂ€mpft haben an Demokratie und an funktionierendem Sozialstaat zutiefst gefĂ€hrdet.“

    Was ist die Lösung? - Lehmann: „Es geht im Kern darum, dass man den Leuten das GefĂŒhl geben muss, sie sind nicht auf den Sozialstaat angewiesen, sondern sie können von ihrer HĂ€nde Arbeit leben. Alles was getan wird, das Wohngeld zu erweitern oder den Kinderzuschlag zu erhören ist ja quasi ein EingestĂ€ndnis des Scheiterns. Die Leute verdienen eben nicht genug, damit sie ohne die Hilfe des Staates ĂŒber die Runden kommen. (..) Die Politik darf die Menschen nicht so behandeln wie die EmpfĂ€nger von Almosen“.

  • Der frĂŒhere PrĂ€sident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer widerspricht meiner Behauptung, wir seien „in einer Welt aufgewachsen, da war sie noch in Ordnung (..) Die sogenannte internationale Ordnung, (..) hat einfach so nicht gespielt fĂŒr ganz viele Leute, aber das wurde nicht zur Kenntnis genommen.“ Carolina Frischkopf, die designierte Direktorin des Hilfswerks der evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) stimmt zu: „Es ist eine Welt in Unordnung, die immer in Unordnung war. (..) Bis jetzt hatten wir eine klare Ordnung, wer Macht hat, die Pax Americana. (
Die Amerikaner) haben die Weltordnung so nutzen können, wie es fĂŒr sie gestimmt hat.(..) Wir hatten eine von Amerika dominierte Weltordnung, dort gelang es nicht, die wirtschaftliche Entwicklung fĂŒr alle zugĂ€nglich zu machen. China hat das fĂŒr China geschafft.“

    „Was sich geĂ€ndert hat", gemĂ€ss Maurer, "ist der Konsens, darĂŒber, wer sich mit dieser Unordnung beschĂ€ftigen soll und kann. Die Leadership-Funktion der westlichen Welt ist in Frage gestellt. (..) Was nicht in Frage gestellt wird, sind die Zielvorstellungen, die sich Gesellschaften machen bezĂŒglich Frieden, Respekt von Menschenrechten und humanitĂ€rem Völkerrecht. (..) Was abgelehnt wird, ist eine machtpolitische abgestĂŒtzte Interpretation dieser Normen, aber nicht die Normen selbst. Und das ist ein grosser Unterschied. (..) Wir haben keine Akzeptanz der machtpolitischen Ordnung. Daher mĂŒssen Normen wieder neu verhandelt werden.“

    FĂŒr Maurer gibt es ein Entwickungsparadox: „Es hat noch nie in der Geschichte der Menschheit so viele Leute gegeben, die gesund, wohlhabend, miteinander verbunden und ausgebildet waren. Und gleichzeitig hat es noch nie auf der Welt so viele Menschen gegeben, die ausgeschlossen sind von politischen Entscheidungsprozessen, die in Armut verharren, die die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf sich vereinigen. Und beides stimmt. Und das ist eigentlich die Problematik, mit der sich das internationale System heute beschĂ€ftigen muss, (..) das von den fragilen Kontexten durcheinander gerĂŒttelt wird (..): Klimawandel, strukturelle Armut, Korruption, Auswirkungen von Pandemien (..) So haben wir Orte auf der Welt, die praktisch nicht mehr regierbar sind und die ausserhalb des internationalen Systems sind. Das internationale System erlebt eine Delegitimierung, weil sich heute diese Leute auch melden, weil sie verbunden sind mit der Welt und sagen: Euer Diskurs stimmt nicht.“

    "Es braucht einen fundamental anderen Ansatz, wie wir ein Hilfesystem aufbauen, das auch den lokalen Begebenheiten Rechnung tragt“, ", so Maurer weiter. "DafĂŒr brauche es aber „mehr als Augenhöhe“, argumentiert Frischkopf, „der Lead fĂŒr die Entwicklung muss bei den LĂ€ndern selber sein und bei den Partnern, weil sie am besten wissen, was sie brauchen und was bei ihnen funktioniert oder nicht. Und das ist im Gegensatz zu dem, was bei uns Geldgeber oder auch Staaten an Entwicklungspolitik machen wollen.“ Das bestĂ€tigt Maurer: „Ich habe stark gespĂŒrt in den 10 Jahren, wo ich IKRK-PrĂ€sident war, wie die LegitimitĂ€t westlicher Helferei fundamental in Frage gestellt wurde,(..) weil man gesehen hat, dass dies die falsche Hilfe ist, die nicht den BedĂŒrfnissen entspricht.“

    Ist es legitim, in der globalen Unordnung mit Gaunern und Schurken als Partner zu verhandeln? „Das war immer so, das hat sich nicht geĂ€ndert“, antwortet Frischkopf, „man hat mit Saddam Hussein und Gaddafi gut verhandelt, das hat realpolitisch immer funktioniert“. Und Maurer ergĂ€nzt aus seinen Erfahrungen mit autoritĂ€ren Regimen: „Wir haben die unangenehme Gewohnheit, sie als Diktaturen und als korrupte Regierungen (zu bezeichnen), wie wenn es Korruption bei uns nicht gĂ€be, wie wenn es autoritĂ€re Bestrebungen bei uns nicht gĂ€be. " Dazu Frischkopf: „Ich habe das in China erlebt und das hat mich sehr beeindruckt (..) Wenn man mit Chinesen zusammensitzt, sind sie da, um von einem zu lernen.“

  • Jouanna Hassoun, Deutsch-PalĂ€stinenserin und Leiterin der gemeinnĂŒtzigen Vereins Transaidancy, konnte am 7.Oktober zuerst „gar nicht verstehen, was genau passiert ist“. Sie ist in einem palĂ€stinensischen FlĂŒchtlingslager mit der persönlichen Erfahrung von Krieg und Repression aufgewachsen. „Von daher weiss ich, was es bedeutet Krieg zu erleben (..) und ich weiss, Gewalt und Hass ist keine Lösung“. Auch Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, konnte die Nachrichten „am Anfang gar nicht glauben. (..) Mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee (..) kann das doch nicht so katastrophal funktioniert haben“. Seither hĂ€tten die antisemitischen Straftaten stark zugenommen; er sei erschĂŒttert, „dass jĂŒdische Familien jetzt verunsichert sind und ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken (..) und dass auf der anderen Seite jetzt ein Generalverdacht auf Muslime und insbesondere auf PalĂ€stinenser niederprasselt (..). Die Heftigkeit, mit der das passiert ist, und auch die Schnelligkeit (..) sind wirklich dramatisch“

    „Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, so Hassoun. (..) Die Frage ist auch, geht es um palĂ€stinensische Menschen, die aufgrund ihres Schicksals (..) eine Art Trauma haben, dann haben sie auch einen anderen Umgang verdient in Bezug auf Kritik“. Hassoun ist besorgt, „dass vor allem palĂ€stinensische Menschen kriminalisiert werden, wenn sie sich mit ihren palĂ€stinensischen Geschwistern solidarisieren. (..) Allerdings, wenn Straftaten begangen werden, wenn jĂŒdische Menschen bedroht werden, (..) dann mĂŒssen wir ganz klar handeln."

    „Der Antisemitismus“, so Klein, „hat viele Quellen (
), das speist sich alles aus dem, was schon da war: den 15-20% der Menschen in Deutschland, die judenfeindliche Ansichten haben. (..) Es gibt jetzt die Gelegenheit, das auszuleben und die sozialen Medien sind ein Brandbeschleuniger“. Er sei aber zuversichtlich, weil „das Gesetz ĂŒber die digitalen Dienste endlich ein Mittel (werde), auch repressiv vorzugehen, um das strafbar zu machen im Internet, was auch im normalen Leben strafbar ist, (..) was Beleidigungen oder Holocaust-Leugnung angeht."

    Hassoun erzĂ€hlt von ihren Erfahrungen, wenn sie zusammen mit einem jĂŒdischen Mitstreiter in Berliner Schulen AufklĂ€rung betreibt: „Die jungen Menschen haben Wut, sie haben Angst, sie haben Schmerz, wir haben unglaublich viele betroffene Menschen. (..) jĂŒdische und palĂ€stinensische Menschen sind eher bereit, miteinander ins GesprĂ€ch zu kommen und den Schmerz des anderen anzuerkennen. Das habe ich in fast 40 Trialogen mit meinem Kollegen erlebt . (..) Das Problem haben wir bei den Ideologen, die hoch politisiert sind und uns beiden die IdentitĂ€t absprechen, entweder das Existenzrecht von Israel oder das Existenzrecht von PalĂ€stinensern. Und da kommen die Social Media ins Spiel.“

    „Die Situation fĂŒr uns palĂ€stinensische und muslimische Menschen in Deutschland ist teilweise emotional so unertrĂ€glich, dass viele Menschen (..) sagen: Ich weiss gar nicht, ob ich mich hier willkommen fĂŒhle und ob ich noch hierbleiben möchte, weil ich mich mit meiner IdentitĂ€t nicht gesehen fĂŒhle. (..) Solange der Krieg tobt, solange so viele Menschen sterben, solange die Geiseln noch in den HĂ€nden der Hamas sind, werden wir (..) keinen Frieden haben, wir werden auch nicht konstruktiv diskutieren können. (..) Das Einzige, was wir machen können, ist zuzuhören, versuchen, die Wut zu verstehen und versuchen, die Menschen einzufangen.“

    „Wenn wir von der Verantwortung Deutschlands gegenĂŒber Israel sprechen“, wĂŒnscht sich Hassoun zum Schluss, „dass wir diese Verantwortung erweitern auf die palĂ€stinensischen Menschen, die sekundĂ€r auch von der Shoa, vom Holocoust betroffen sind, (..) weil sie ihre Heimat verloren haben, dass Deutschland seine Verantwortung auch ihnen gegenĂŒber wahrnimmt.“ Dazu anerkennt Klein „eine besondere Rolle Deutschlands in diesem Konflikt eine positive Rolle.

  • Die sicherheitspolitische Sprecherin der GrĂŒnen im Bundestag, Sara Nanni möchte „die These, dass (die Reaktion auf den russischen Angriffskrieg) eine Wende war, ein bisschen aufweichen“, es gehe ihr vielmehr um einen realistischen „Blick darauf, was man politisch erreichen kann und wann es MilitĂ€r braucht, um politisch Lösungen möglich zu machen.“ Zur pazifistischen Vergangenheit der GrĂŒnen sagt sie: „NatĂŒrlich, es gab starke radikal pazifistische Teile in unserer Bewegung, aber es gab immer auch die pragmatisch pazifistischen Teile (..) Die heutige GrĂŒne Partei wĂŒrde ganz anders auf die Debatten von damals kucken, das hat sich massiv weiterentwickelt, das hat auch was mit der Regierungsverantwortung zu tun“.

    Der HauptgeschĂ€ftsfĂŒhrer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Hans Christoph Atzpodien „war ĂŒberrascht von der Entschiedenheit des Bundeskanzlers in seiner RegierungserklĂ€rung mit den 100 Milliarden Sondervermögen“. Zuvor sah er seine Arbeit „als den unpopulĂ€rsten Job Deutschlands (..) Man konnte es vor dem Februar 22 ganz deutlich sehen (..), wie Banken mit uns als Industrie umgegangen sind“ und „unter dem DrĂ€ngen des Green Deal (..) zum Teil gesagt haben, wer die Bundeswehr beliefert, der kriegt von uns keine Bankgarantie mehr“.

    Was ist die richtige Politik fĂŒr Waffenexporte, wenn wir plötzlich feststellen, dass deutsche Waffen wie die aufgerĂŒsteten Fregatten der Emirate im Jemenkrieg zum Einsatz kommen? Nanni stellt fest: „In den letzten zwei Jahre ist es ja schon deutlich restriktiver gelaufen.“ Dabei mĂŒsse man verstĂ€rkt „die mittel- und langfristige Perspektive miteinbeziehen. (..) wenn der Moment des Handschlages 15 Jahre vom Moment der Auslieferung entfernt, ist“, sonst zwingen politische VerĂ€nderungen zu einem abrupten Exportverbot. Atzpodien erwĂ€hnt dazu die beabsichtigte Auslieferung von deutschen Booten an Saudi-Arabien, „dann kam der Mordfall Khashoggi, wo dann Kanzlerin Merkel gesagt hat, wir stoppen jetzt alle Ausfuhren“.

    Deshalb plĂ€diert Nanni fĂŒr ZurĂŒckhaltung: „Ich sehe auch, dass die StĂŒckzahlen, die in der NATO abgenommen werden, so gering sind, dass sich die pro-StĂŒck-Kosten sehr hoch entwickeln, wenn man gar nicht mehr exportiert. (..) Da wĂ€re ich dann im Zweifelsfall bereit, pro StĂŒck mehr zu bezahlen (..) Aber es ist leider so, dass wir da in der Bundesregierung mit dieser Perspektive ein bisschen allein sind, und da bleibt es dann doch dabei, dass wir als GrĂŒne immer noch die pazifistischste Partei sind“.

    Atzpodien hĂ€lt dagegen: „Wir konkurrieren in Europa mit anderen RĂŒstungsherstellern, die teilweise Staatsunternehmen sind oder vom Staat ganz klar unterstĂŒtzt werden und die mit der Hilfe ihrer Regierungen in weitem Umfang exportieren können und dadurch entsteht ein GefĂ€lle im Wettbewerb. Wenn wir am Ende ĂŒberhaupt keinen Export machen könnten (..) passt das dann irgendwo nicht. (..) Und was im Moment etwas schmerzt, ist die Tatsache, dass durch die beiden HĂ€user, die politisch unter grĂŒner FĂŒhrung sind, viele Dinge einfach liegen bleiben (..) und das fĂ€hrt die Kunden sauer“.

    Von einer gemeinsamen europĂ€ischen RĂŒstungspolitik sei man noch weit entfernt, so Atzpodien, weil „es in vielen europĂ€ischen LĂ€ndern starke Verteidigungsindustrien gibt, die von ihren Regierungen sehr stark auf Exporterfolg konditioniert werden, dass sie sich auf dem Weltmarkt gegen andere teilweise europĂ€ische Wettbewerber durchsetzen.“ Deshalb sei „das Interesse der anderen Regierungen an der Vereinheitlichung von Programmen begrenzt“. Eigentlich, so Nanni, „bedarf es eines unglaublich starken politischen Willens insbesondere in den grossen LĂ€ndern, die ĂŒber grosse Verteidigungsindustrien verfĂŒgen (..) hier mĂŒsste im Prinzip die Vereinheitlichung ansetzen“. Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien, so Atzpodien, „mĂŒssen diese Hausaufgabe machen, um einen Bebauungsplan zu erstellen. Der EU-Kommission kann man das nicht ĂŒberlassen.“

  • Bisher waren professionalisierte Medien als vierte Gewalt im Staat die Voraussetzung fĂŒr eine funktionierende Demokratie. Die Sozialen Medien haben diese Öffentlichkeit aber radikal verĂ€ndert und parallele InformationsrĂ€ume mit ihren eigenen Wahrheiten und Fake-news geschaffen. Von daher stellen sich die Fragen: Kommt uns die Wahrheit abhanden? Was ist Wahrheit? - „Wir haben es“, so Judith Wittwer, die Chefredakteurin der SĂŒddeutschen Zeitung, „zunehmend mit Menschen zu tun, die sagen, das ist ja alles Ansichtssache, wissenschaftlich erhĂ€rtete Fakten werden in Frage gestellt. (..) Aber Meinung ist kein Faktum (..) Unsere Aufgabe ist, (..) den Menschen die Instrumente in die Hand zu geben, um sich ihr eigenes Bild zu machen und auf der Basis von Fakten diese Suche nach der Wahrheit voranzutreiben. (..) Je komplexer die Welt ist, desto grösser das BedĂŒrfnis, Übersicht und Orientierung zu bekommen. (..) Es gibt ein enormes InformationsbedĂŒrfnis (..) Nicht nur fĂŒr Information, sondern fĂŒr diese Einordnung, die HintergrĂŒnde, die Reportage. (..) Die SZ hat heute mehr Abonnentinnen und Abonnenten denn je.“

    „Was mich bei aller Zuversicht sehr beunruhigt“, wendet der frĂŒhere ZDF-Nachrichtenmoderator Claus Kleber ein, sei, dass “ein punktuelles, anekdotisches Wissen zu spektakulĂ€ren VorgĂ€ngen vielen Menschen ausreicht, um sich ihre Meinung zu bilden“, ohne traditionelle Medien zu benĂŒtzen. Trotzdem sieht er keine Ablehnung der professionellen Presse und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: „Offensichtlich gibt es auch unter den jungen Leuten, die uns nicht sehen, das GefĂŒhl, dieses Land ist schon besser dran, wenn ein Goldstandard fĂŒr Information immer im Raum ist. (..) Man weiss, da gibt’s noch eine Stelle, die achtet drauf, dass das nicht ausartet, dass die Regierung uns nicht erzĂ€hlen kann, was sie will“.

    „Das wirklich Neue“ durch die sozialen Medien sei aber, so Claus Kleber, „die normative Kraft der LĂŒge. (..) Der Kontrollmechanismus braucht zu viel Zeit, im Moment ist die hohe Geschwindigkeit der LĂŒge durch diese Reizbetonung zu einem ganz entscheidenden Machtfaktor geworden“, und „dass dann ganz viele vernĂŒnftige Leute sagen, man weiss ja gar nicht, was man da noch glauben soll, und das reicht.(..) Das hat Hannah Arendt festgestellt: Die Potenz des totalitĂ€ren Staates, mit seiner Propaganda zu lĂŒgen, ist nicht, dass die Leute die LĂŒge glauben, sie liegt darin, dass die Leute gar nichts mehr glauben. Und ein Volk, das nicht mehr weiss, was es denken soll, ist handlungsunfĂ€hig. Mit ihm kann ein autoritĂ€rer Herrscher machen, was er will. Donald Trump hat bis heute diese Waffe in der Hand und nutzt sie.“

    Trotzdem sind beide zuversichtlich fĂŒr das kĂŒnftige Zusammenwirken des professionellen Journalismus mit den sozialen Medien. „Auch wenn“, so Judith Wittwer, die Öffentlichkeit „halt noch fragmentierter sein wird, (..) bin ich sehr wohl optimistisch, dass wir unverĂ€ndert ein Publikum finden werden und das wird nicht zwingend immer Ă€lter werden (..) Aber ich sehe schon, dass wir viele nicht erreichen werden, und dass diese Kluft und diese Polarisierung fortschreiten.“

    Auch Claus Kleber ist optimistisch, „wenn wir die QualitĂ€t unserer Leistung in die neuen sozialen Medien (..) einbringen fĂŒr Menschen, die sich ausschliesslich im Internet informieren und diese kuratierten Produkte wie das Heute Journal oder die gedruckte SZ nicht mehr abfragen.“ DafĂŒr gelte es, einen neuen „Biotop zu entwickeln (..), der der Öffentlichkeit gehört, einen Public Space, fĂŒr jeden zugĂ€nglich (..), und das so schnell und so erfolgreich aufzubauen. (..) Da freue ich mich zu merken, dass da die Ressourcen und die Gedanken hingehen, denn ohne das hĂ€tten wir keine Zukunft. Aber ich glaube, die haben wir, weil wir das rechtzeitig erkannt haben.“

  • Wahlsieg von Donald Tusk war eine Überraschung. Die Wahlbeteiligung, so die polnische Soziologin Karolina Wigura, war mit fast 75% viel höher als bei den ersten freien Wahlen nach dem Ende des Kommunismus. Dazu haben sich zum ersten Mal die jĂŒngsten WĂ€hler und WĂ€hlerinnen, die „schon als Mitglieder der EuropĂ€ischen Union geboren wurden und eine ganz andere Haltung zum vereinigten Europa haben“, stĂ€rker beteiligt als die Ă€lteste Generation. - Vor allem fĂŒr die Opposition, so Janusz Reiter, der frĂŒhere polnische Botschafter in Deutschland, war dies „eine Schicksalswahl. (..) Viele haben verstanden, dass es in dieser Wahl auch um sie geht“. Dabei sei die Abtreibung fĂŒr die junge Generation und die Frauen eine Frage gewesen sei, „in der sie die Politik hautnah“ erleben. Tusk, so Wigura, sei es letztendlich gelungen, „die Vision zu schaffen, dass es möglich ist, in einem besseren Polen zu leben“.

    Die Machtablösung werde sich aber, so Wigura, höchstwahrscheinlich in die LĂ€nge ziehen. Trotzdem, so Reiter, sei, „das Schlimmste, was manche befĂŒrchteten, nicht geschehen, dass es nĂ€mlich in Polen eine Entwicklung geben könnte wie in Amerika, wie ein Sturm auf das Parlament (..) Das ganze Spiel findet jetzt hinter geschlossenen TĂŒren statt“. Dabei werde es Versuche der Wahlverlierer geben, „doch eine Mehrheit zu schaffen“, die PIS bleibe ja stĂ€rkste Partei. „Der Versuch wird fehlschlagen. (..) Das ganze wird aber die Freude ĂŒber den Wahlsieg verderben.(..) Das wird das Misstrauen vieler Menschen in die Politik verstĂ€rken“. PrĂ€sident Duda, so Reiter weiter, werde es „der neuen Regierung schwer machen. (..) Wie es heute aussieht, wird er eher eine harte Linie fahren (..) Polen regieren wird keine einfache Sache in einem polarisierten, geteilten Land wie in Amerika“. Obama und Biden hĂ€tten versprochen, „das Land zu einigen, aber das Land ist heute nicht geeinigt“.

    Ist ein RĂŒckbau zum Rechtsstaat möglich? „Es geht nicht um die RĂŒckkehr zum Polen von 2015“, so Wigura, „sondern es geht darum, alles so zu gestalten, dass wir nicht wieder eine RĂŒckkehr zum Populismus haben.“ – Auch fĂŒr Reiter gehe es „nicht um die RĂŒckkehr zu einem vermeintlichen Goldenen Zeitalter. Es geht um etwas Neues.“ Es gehe auch darum, dass „die WĂ€hler der PIS sich nicht so fĂŒhlen, als wĂ€ren jetzt die Racheengel gekommen“. „Polen bedeutet Spaltung“, so Wigura, „Spaltung und Polarisierung ist unsere Geschichte. (..) Der Populismus funktioniert nur mit Polarisierung, die er verstĂ€rkt. Aber damit könnten wir aufhören, das könnte verschwinden. Ob Tusk dazu fĂ€hig ist, ich habe meine Zweifel. Auch er hat immer mit dieser Polarisierung gespielt. Ob er sich verĂ€ndern kann, um die WĂ€hler der PIS zu diesem neuen Polen einzuladen, ich bezweifle das. Das ist die grĂ¶ĂŸte Aufgabe nebst der Reparatur der Institutionen, um einen Wandel zu erzielen. Sonst werden wir in vier Jahren, vielleicht schon frĂŒher wieder einen Wechsel haben“.

    Janusz Reiter ist „zuversichtlich, dass es der neuen Regierung gelingt, die uns zustehenden Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu erhalten“, weil BrĂŒssel wisse, „dass diese neue Regierung es ernst meint mit der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit.“. Polen könne sich jetzt wieder in die europĂ€ische Politik einbringen. DafĂŒr erwartet Wigura aber von Deutschland, aus der „osteuropĂ€ischen und mitteleuropĂ€ischen Geschichte zu lernen und die Stereotypen zu ĂŒberwinden gegenĂŒber OsteuropĂ€ern und gegenĂŒber Polen“. Reiter ergĂ€nzt dazu: „Wenn ich einen Traum haben könnte, (..) dann, dass der Begriff Osteuropa aus unserer Diskussion verschwindet“, oder dass er „ersetzt wĂŒrde durch Mitteleuropa oder Ost-Mitteleuropa, das wĂ€re auch schon hilfreich, (..) weil die BenĂŒtzung des Begriffes Osteuropa ein bisschen auch die Weigerung ausdrĂŒckt, zu differenzieren und die Unterschiedlichkeit der verschiedenen LĂ€nder und ihrer Probleme im ganzen Raum östlich von Deutschland zu verstehen“.

  • „Was muss denn noch passieren, damit wir endlich vom Denken zum Handeln kommen?“, fragt sich Eckart von Hirschhausen, der die Stiftung "Gesunde Erde - Gesunde Menschen" gegrĂŒndet hat. Sein Motiv, sich heute fast nur noch in der Klimapolitik zu engagieren, ist: „Du kannst nicht ehrenamtlich die Welt retten, solange andere hauptberuflich sie zerstören.“ Ricarda Winkelmann habe ausgerechnet, dass der Meeresspiegel 58 Meter steigt, wenn wir jetzt so weitermachen. Auf die Frage Eckarts: „Bist du nicht verzweifelt?“, konnte sie nur feststellen: „Zum Verzweifeln haben wir keine Zeit“. „Die Berge fangen an zu bröckeln“, so Hirschhausen weiter, „und wir sehen zu, dass Dinge, die wir fĂŒr felsenfest gehalten haben, plötzlich anfangen, wirklich zu zerbröseln und Menschen zu bedrohen, wenn der Permafrost, der den Berg zusammenhĂ€lt, weg ist. (..) Naturgesetze sind nicht verhandelbar. (..) Die Welt wird nie mehr so wie frĂŒher, auch wenn man die von vorgestern wĂ€hlt.“

    Gibt es positive Nachrichten? Kira Vinke, die Leiterin des Zentrums fĂŒr Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Aussenpolitik, sagt: „Wenn man anfĂ€ngt, den Weg zu gehen, dann sieht man auch immer mehr TĂŒren, die sich öffnen und Dinge, die gemacht werden können und daraus kann man dann auch wieder Mut, Hoffnung schöpfen“. Von Hirschhausen fĂŒhrt dazu das Montrealabkommen von 1987 auf „und heute geht das Ozonloch noch zu. Das heisst, wenn wir es schaffen, politisch klare Spielregeln aufzustellen“ zum FCKW-verbot, „dann entstehen auch MĂ€rkte ĂŒber Ersatzstoffe (..) Ich bin stolz auf die 20 MĂ€nner, die das abgeschlossen haben. Wie sollen Kinder in 30 Jahren auf uns stolz sein? (..) FĂŒr mich kommt Optimismus dann auf, wenn ich jeden Tag engagierte Menschen treffe, die in ihrer Situation alle Hebel in Bewegung setzen“. Dabei könne man, so Kira Vinke „der Bevölkerung auch etwas zumuten (..) Der Status quo in Deutschland kann nur geschĂŒtzt werden, wenn wir massiv umsteuern mit unserem Klimaschutz. (..) Jeder hat Optionen und Möglichkeiten, selbst zu handeln. (..) Die Angst vor klaren Spielregeln fĂŒr alle ist unberechtigt, dafĂŒr gibt es viele Beispiele, die Sicherheitsgurten, das Rauchverbot in Kneipen etc.“.

    Die UN-Beauftragte fĂŒr Klimawandel und frĂŒhere irische PrĂ€sidentin Mary Robinson habe gesagt: „Climate change is a man made problem with a feminist solution“. Luisa Neubauer habe sich zu Eckart von Hirschhausen ĂŒber alte MĂ€nner mit den Worten geĂ€ussert: „Ihr haltet euch ja erstaunlich gut, wir brauchen euch, die Jugend wird es ja nicht richten, die Zeit haben wir nicht. Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase und weniger als 10 Jahre Zeit. In diesen Jahren gibt es noch sehr viele MĂ€nner an entscheidenden Positionen. Aber sag mal ganz ehrlich Eckart, erst alles kaputt machen und dann beim AufrĂ€umen nicht helfen, das haben wir doch im Kindergarten anders gelernt“.

    (p.s. Corrigendum: Der von mir im Podcast erwĂ€hnte Beschluss mit der Frauenmehrheit in der schweizerischen Regierung bezog sich nicht auf den 120 kmh Tempolimit, der frĂŒher beschlossen wurde, sondern auf das Verkehrssicherheitsprogramm Via sicura, das u.a. eine StrafverschĂ€rfung fĂŒr Raser beinhaltete).

  • Mit dem langjĂ€hrigen Leiter der MĂŒnchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger und Janka Oertel, Verfasserin des Buches „Ende der Chinaillusion“, diskutiere ich ĂŒber eine europĂ€ische Antwort auf die chinesische Herausforderung. Wolfgang Ischinger stellt fest, dass LĂ€nder wie Deutschland „massive wirtschaftspolitische, handelspolitische, Investitionspolitische Interessen mit und in China haben“ und die „Sichtweise innerhalb der 27 EU-Mitgliedstaaten zum Thema China ganz sicherlich nicht einheitlich“ sei. Deshalb sei eine Chinastrategie notwendig, „die die Mitgliedstaaten geradezu verpflichten, China gegenĂŒber (..) aber auch ĂŒber China beispielsweise mit den USA mit einer Stimme zu sprechen„. DafĂŒr bestehe, so Oertel, „eine unglaubliche deutsche Verantwortung, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.“

    Auch die Beziehungen mit den USA werden, so Ischinger, in Zukunft von der Chinafrage geprĂ€gt. Er fordert deshalb besonders fĂŒr die Taiwanfrage „ein höchstrangige Konsultationsmaschinerie (..), um sicherzustellen, dass unsere europĂ€ische Stimme, so wie wir sie denn hĂ€tten, in Washington erstmal ernsthaft zur Kenntnis genommen werden mĂŒsste“, damit „wir uns nicht gegenseitig strategische Überraschungen prĂ€sentieren.“ Denn, so Oertel, die Amerikaner wĂŒrden „einseitige Entscheidungen treffen, sofern die EuropĂ€er nicht in der Lage dazu sind, mit einer gemeinsamen Antwort zu kommen.“

    Kann China noch ein Partner sein? „Ich glaube nicht“, so Oertel, „dass es noch eine Frage gibt, in der wir echte Partner noch sein können“. Sie glaube aber, „dass wir sehr wohl mit China zusammenarbeiten können, in verschiedenen Feldern, weil es auch Interessenskongruenzen geben wird. Aber wir sind keine Partner mehr, auch als chinesischer Perspektive werden wir nicht als Partner betrachtet. Chinas Partner ist momentan Russland (..) Die Hebelwirkung, die wir haben gegenĂŒber China ist aber gerade grösser, als sie noch vor ein zwei Jahren war. Wir sind eigentlich immer noch in einer Position relativer StĂ€rke. Wir nutzen das nur nicht aus, und die Zeit spricht auf lange Sicht gegen uns. Wenn wir ein Einhalten von Regeln wollen, dann mĂŒssen wir die mit Sanktionsmassnahmen belegen.“

    Also klare Kante gegen China, obwohl eine Million deutscher ArbeitsplĂ€tze vom chinesischen Markt abhĂ€ngen? Oertel hat Vertrauen in die AnpassungsfĂ€higkeit der deutschen Wirtschaft. Man dĂŒrfe nicht „aus der Gegenwart in die Zukunft eine RealitĂ€t extrapolieren, die es nicht geben wird“ weil „dieser Markt in weiten Teilen immer weiter zusammenschrumpft“, wie das chinesische Siemens GeschĂ€ft im Windbereich zeige, in dem „sie keine Chancen mehr haben gegen lokale Konkurrenten. Ein Markt, der möglicherweise gegen null geht, den können und mĂŒssen wir ersetzen weltweit.“

    Ist ein europĂ€isches Umdenken möglich? Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, so Oertel, „dass wir in der Lage sind zu handeln, wenn wir die Dringlichkeit verstanden haben.“ Seit den 90er Jahren habe sich Deutschland außenpolitisch, so Ischinger, „in eine LiebesaffĂ€re mit dem Status quo begeben. Diese LiebesaffĂ€re ist jetzt erkennbar vorbei, aber es gibt leider in unseren politischen Eliten Leute, die sich sehr schwertun (..) Man hĂ€ngt immer noch ein bisschen dran, das ist unser Problem (..) Wenn wir bereit sind zu verstehen, dass sich die Welt vor unseren Augen dramatisch verĂ€ndert, dann taucht folgende Frage auf, wann war es das letzte Mal, dass Deutschland bei der Frage der Gestaltung des europĂ€ischen Integrationsprojekts eine grosse Initiative vorgelegt hat. Das letzte Mal war 1989 die Idee des Euro. Seither gibt es keine deutsche oder deutsch-französische grosse europĂ€ische Initiative (..) Es ist höchste Zeit, dass Deutschland ihre natĂŒrliche FĂŒhrungs- oder MitfĂŒhrungsrolle in Europa als solche begreift (..) und Initiativen mit-anstĂ¶ĂŸt, um die EU wetterfest zu machen (..) Das können wir nicht Estland, Portugal und Malta ĂŒberlassen“.

  • Mit Ralf FĂŒcks, Leiter des Zentrums fĂŒr Liberale Moderne und Claudia Major, der Forschungsgruppenleiterin des Bereichs Sicherheitspolitik der SWP diskutiere ich ĂŒber die brĂŒchige Zukunft der westlichen Allianz im Ukrainekrieg.

    Ralf FĂŒcks ist von seinem jĂŒngsten Ukrainebesuch zuversichtlicher zurĂŒckgekommen, „sowohl hinsichtlich der militĂ€rischen Situation, wo es im Westen vielfach eine völlig ĂŒberzogene Erwartung an Geschwindigkeit und Durchschlagskraft der ukrainischen Gegenoffensive gibt. (..) Die Stimmung im Land ist eine Mischung aus ErnĂŒchterung, auch Erschöpfung (..), trotzdem ist die Kampfbereitschaft und der Wille der Selbstbehauptung ungebrochen.“ Es stelle sich, so Claudia Major „die Frage, ob die Ukrainer noch Reserven haben und kommen sie bis zum Asowschen Meer durch. (..) FĂŒr ihren weiteren Erfolg hĂ€ngen sie von der westlichen UnterstĂŒtzung ab.“

    FĂŒr Ralf FĂŒcks geht es um „unsere ureigenen Interessen, das ist der Dreh- und Angelpunkt, der bei uns noch nicht richtig angekommen ist, dass nĂ€mlich die Ukraine fĂŒr die europĂ€ische Sicherheit und fĂŒr die Zukunft der europĂ€ischen Demokratie kĂ€mpft. (..) Der Ausgang dieses Krieges wird eine Weichenstellung sein fĂŒr die weitere internationale Entwicklung (..) Wenn der Westen da versagt, dann kommt noch sehr viel mehr ins Rutschen als nur die Ukraine“. „Im Endeffekt“, so Claudia Major, „werden Grundsatzfragen verhandelt: Wie gehen Staaten miteinander um, und muss man sich an Regeln halten.“.

    Es gebe im Westen, so Ralf FĂŒcks „keine Entscheidung bisher, wie dieser Krieg enden soll. Das ist die strategische Archillesferse (..), die Allianz hat nicht wirklich definiert, was unser politisches Ziel ist. Soll die Ukraine gewinnen oder setzten wir auf eine Erschöpfung beider Seiten, die dann in einen Waffenstillstand mĂŒndet, der möglicherweise dann zu Verhandlungen fĂŒhrt. (..) Diese Unentschiedenheit“ sei „das grĂ¶ĂŸte Risiko“. Dabei spiele „Russland ganz bewusst auf Zeit“.

    Wie reagiert die Allianz, wenn Putin plötzlich offen fĂŒr einen Waffenstillstand wĂ€re? Major: „Das wĂŒrde die westlichen UnterstĂŒtzerstaaten vor eine enorme Zerreißprobe stellen. Ich kann mir die politischen Stimmen vorstellen, die das begrĂŒssen“. Russland habe seit 2014 „seine Position nicht verĂ€ndert. (..) Solange die Regierung, die Gesellschaft und der Staat zutiefst militarisiert sind, solange wird es mit einer solchen russischen Regierung keine StabilitĂ€t und keinen glaubwĂŒrdig belastbaren Frieden geben. Dann ist jeder Waffenstillstand lediglich eine Atempause. (..)Die politische Frage kĂ€me ja nach einem Waffenstillstand erst auf den Tisch“. Ebenso auch die Frage kĂŒnftiger Grenzen. „Wenn wir in Europa jetzt anfangen, Grenzen zu diskutieren, ist das die BĂŒchse der Pandorra schlechthin. Völkerrechtlich anerkannte Grenzen sind auch friedenspolitisch eine Errungenschaft und sie sind auch von der Sowjetunion (..) mehrfach anerkannt worden“. „FĂŒr die Ukraine“, so FĂŒcks, „wĂ€re ein solcher Waffenstillstand fatal. Das Land wĂ€re weiterhin in einer permanenten militĂ€rischen Bedrohungssituation (..und) wirtschaftlich dramatisch geschwĂ€cht.“

    FĂŒr die Zukunft Ă€ußert Claudia Major ihre „grosse Sorge, dass die westliche UnterstĂŒtzung langfristig abnimmt, entweder aufgrund der Wahlen in den USA, aufgrund von europĂ€ischen Wahlen (..) und dass die Ukraine nicht die Hilfe bekommt, die sie braucht. (..) Die Ukraine wird trotzdem weiterkĂ€mpfen. Es droht generell ein langwieriger, sehr blutiger, sehr brutaler Konflikt“. Trotzdem schliesst Major etwas optimistischer: „In den letzten 18 Monaten hat die Ukraine es geschafft, ĂŒber die HĂ€lfte der von Russland eroberten Gebiete zu befreien, weil sie eine enorm beeindruckende Kampfbereitschaft und einen enormen Mut gezeigt haben, weil die westlichen LĂ€nder (..) ĂŒber sich hinausgewachsen sind (..) Man kann das auch als positiven Anreiz sehen und sagen: Es ist möglich.“

  • Mit der deutschen Afro-Amerikanerin Chenoa North-Harder, die an der Schauspielhochschule in Babelsberg studiert, und RenĂ© Pfister, USA-Korrespondent des SPIEGELs und Verfasser des Bestsellers „Ein falsches Wort“ diskutiere ich, wie im Kampf gegen Diskriminierung liberale GrundsĂ€tze verletzt werden können.

    Ihre eigene Diskriminierung erlebte North-Harder als IdentitĂ€tskrise: „FĂŒr mich war es vor allem in jungen Jahren sehr schwer in Deutschland, weil ich nie dazugehört habe als Kind.(..) Dass die Grundannahme von jedem, der mit mir redet, immer ist, dass ich nicht Deutsche bin, ist einfach verletzend“.

    Bedeutet Diskriminierung, dass die privilegierten alten weissen MĂ€nner diese Diskriminierung gar nicht verstehen können und sich deshalb gar nicht dazu Ă€ussern sollen und dĂŒrfen? North-Harder hĂ€lt das fĂŒr Humbug, denn „durch eure Sichtweisen, könnte ich versuchen zu verstehen, wie es dazu kommt, dass ich erlebe, was ich erlebe (..). Das einzig Wichtige ist aber, dass man verstehen muss, dass man diesen Schmerz nicht nachvollziehen kann, vor allem den systematischen Schmerz, der sich ĂŒber Generationen zieht“.

    Soll die Gleichberechtigung verordnet werden, zB durch das Gendern in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und TV-Anstalten, in Zeitungen oder fĂŒr staatliche Dokumente? „Wieso denn nicht?“, findet North-Harder, „Ist es so anstrengend zu gendern und dadurch Menschen mit einzuschliessen, die sich sonst ausgeschlossen fĂŒhlen und dadurch verletzt sind?“ - Pfister ist zwar fĂŒr die Nennung beider Geschlechter – „Lehrer und Lehrerinnen“ - , aber gegen den Genderstern, weil die Leute es nicht wollen und das Gendern eine politische Verortung sei und in der Sprache einer akademischen Elite viele Leute ausschließe.

    Was macht man mit der historisch belasteten Erbschaft, wie geht man in Berlin mit der Mohrenstrasse um? Pfister findet, dass man im öffentlichen Raum keine Namen mit klarer rassistischer Konnotation behalten solle, wenn dazu unter den Betroffenen Konsens bestehe. Dagegen North-Harder: „Strassennamen sollten auf gar keinen Fall geĂ€ndert werden, das ist Teil der Geschichte Deutschlands. (..) Es wĂ€re schade, so eine Geschichte einfach verschwinden zu lassen, wenn sie doch so viel darĂŒber aussagt, was passiert ist. Ich fĂ€nde es viel interessanter, mit einem Schild zu sagen ‚Kuck mal, diese Strasse wurde so benannt‘ oder ‚diese Statue wurde fĂŒr einen Sklaventreiber aufgestellt‘.“

    Kulturelle Aneignung: Darf ein Weißer Othello spielen oder eine afrikanische Frisur tragen? „Warum nicht?“, sagt North-Harder, aber “wenn sich das zB in die Modebranche reintrĂ€gt, wenn ich eine Vogue sehe und da ist jemand mit einer traditionellen Haartracht oder Kleidung aus Ghana und diese Person ist aber weiss, dann finde ich es problematisch.“

    Das Kernargument seines Buches ist fĂŒr Pfister, dass „nicht nur in den USA sondern auch in Europa ungefĂ€hr die HĂ€lfte der Menschen sagen, sie können nicht mehr offen darĂŒber reden, was sie denken, nicht mehr offen ihre Meinung sagen.(..) Und was man in Amerika ĂŒber die letzten 15-20 Jahren erlebt hat, ist, dass aus einer berechtigten Frustration darĂŒber, dass Gleichberechtigung nicht da ist, versucht wurde, den liberalen Rechtsstaat und die Prinzipien der Meinungsfreiheit zumindest zu hinterfragen.", und das sei gefĂ€hrlich. "Und was wir im Moment in Amerika sehen, ist, dass die Rechte damit beginnt, ihre staatliche Macht dafĂŒr einzusetzen, um das, was sie auf der anderen Seite fĂŒr falsch hĂ€lt, richtig zu bekĂ€mpfen“.

    North-Harder: „Es gab schon immer Menschen, die Angst davor hatten, ihre Meinung zu Ă€ussern und dass sie dann diskriminiert wurden. Ich glaube, das Problem ist jetzt, dass die Menschen, die das immer durften, ohne dafĂŒr belangt zu werden, (..) jetzt halt erfahren, dass es diesen Umschwung gibt und dass jetzt diese Menschen sich selbst in ihrer MeinungsĂ€ußerung bedroht fĂŒhlen.“

  • Mit Franziska Brantner, StaatssekretĂ€rin beim Bundesminister fĂŒr Wirtschaft und Klimaschutz, und Alexander Graf Lambsdorff, kĂŒnftiger Deutschen Botschafter in Moskau, diskutiere ich darĂŒber, wie sich Europa globalpolitisch behaupten kann.

    Brantner, unterstreicht, dass wir „im letzten Jahr erlebt haben, wie wichtig die transatlantische Partnerschaft ist (..) als klare Verankerung in dieser internationalen Welt“. Das bedeute aber, „dass wir als EuropĂ€er auch gezwungen sind (..) mehr eigene HandlungsfĂ€higkeit zu erlangen.„ GegenĂŒber China sei „eine gute Balance zu finden, zwischen dem Anspruch, bei den internationalen Themen kooperieren zu können, Stichwort Klimaschutz, aber eben auch andererseits, sich weniger verwundbar aufzustellen. (..) FĂŒr unsere eigene Sicherheit mĂŒssen wir hier ein De-Risking machen.“

    Lambsdorff stellt grundsĂ€tzlich fest: „Das GeschĂ€ftsmodell der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung war billiges Gas aus Russland, ein toller Absatzmarkt in China, die Amis garantieren unsere Sicherheit und wir bezahlen 1,2% fĂŒr die Bundeswehr. Diese GeschĂ€ftsmodell ist tot. (..) Aber wenn wir uns von der chinesischen AbhĂ€ngigkeit befreien wollen, dann ist das viel grösser, viel umfassender und unter UmstĂ€nden auch teuerer“ als im Falle der EnergieabhĂ€ngigkeit von Russland. Und wenn das sehr rasch erfolgen mĂŒsse, „dann hĂ€tten wir wirklich eine dramatische Lage. (..) Das Signal der Politik an die Wirtschaft muss sein: (..) Stellt euch bitte drauf ein, und wenn es schief geht, (..) dann kommt bitte nicht mit dem Hut in der Hand nach Berlin und bettelt um das Geld der Steuerzahler“.

    Kann sich Europa globalpolitisch in Zukunft behaupten, was eine selbstĂ€ndigere Politik und eine Vertiefung der Integration verlangt, vor allem angesichts der Gefahr, fĂŒr das transatlantische VerhĂ€ltnis falls Trump 2024 siegt. Dazu Lambsdorff: „Sind wir in Europa bereit dazu, können wir das? Ich bin da nicht sehr optimistisch.(..) Das, was man an europĂ€ischem Spirit in BrĂŒssel mit HĂ€nden greifen kann, (..) ist in den europĂ€ische HauptstĂ€dten, wenn ĂŒberhaupt, nur in homöopathischen Dosen vorhanden ist“.

    Brantner ist optimistischer:„Mein Eindruck ist, dass gerade im europĂ€ischen Verteidigungsbereich im Moment soviel passiert wie Jahrzehntelang nicht. (..) Wir sind auch daran, eine europĂ€ische digitale SouverĂ€nitĂ€t aufzubauen. (..) Ich bin immer wieder ĂŒberrascht, wie gut wir es im letzten Jahr geschafft haben, mit Blick auf die Ukaine dann doch zu Einigkeit zu finden. (..) Das Gute ist, dass wir jetzt in all diesen Prozessen gesehen haben, dass dort, wo frĂŒher eventuell Blockaden aus Polen oder den ehemaligen Visegradstaaten kamen, wir jetzt eine Kooperation haben (..) Ungarn ist meistens trotzdem noch dagegen, aber der Rest kooperiert und sieht die Notwendigkeit, dass die EU auf Krisen besser vorbereitet sein muss. Und das ist ein fundamentaler Shift seit Beginn des Ukrainekrieges, dass wir ganz andere Verhandlungsdynamiken in BrĂŒssel haben.

    Im Fazit sind beide GesprĂ€chspartner optimistisch. Lambsdorff glaubt, „dass wir langsam und allmĂ€hlich und ich hoffe auch im erfolgreichen Kampf gegen die Nationalisten in den Mitgliedstaaten es schaffen, Europa nach vorne zu bringen, (..) dass wir gemeinsam mit den grossen Demokratien der Welt zusammenzustehen (..) FĂŒr mich ist ein stĂ€rkeres Europa immer noch ein transatlantisches Europa. Wenn es hart auf hart kommt, dann funktioniert der europĂ€ische Zusammenhalt, siehe Sanktionen, und es funktioniert der transatlantische Zusammenhalt, siehe die amerikanische und kanadische Beteiligung an dem, was wir hier tun.“ – Brantner begrĂŒndet ihren Optimismus „in der HandlungsfĂ€higkeit, die wir in der schwersten Krise Europas im letzten Jahr gesehen haben. (..) Wenn wir in solchen Momenten die HandlungsfĂ€higkeit beweisen, haben wir gute Zuversicht, auch zukĂŒnftige Krisen gut zu meistern.“

  • Mit Sawsan Chebli, der ehemaligen StaatssekretĂ€rin im Berliner Senat, und Jörg MĂŒller, Chef des Verfassungsschutzes von Brandenburg diskutiere ĂŒber diese bedrohliche Entwicklung: GemĂ€ĂŸ Bundeskriminalamt haben sich zwischen 2018 und 2021 die Straftaten gegen Amts- und Mandatspersonen bundesweit mehr als verdreifacht. Jörg MĂŒller hat eine entsprechende Studie in Brandenburg durchgefĂŒhrt: „Die Befunde sind leider so, wie wir es erwartet haben, sehr alarmierend.“

    „Wir haben“, so MĂŒller „eine breite Radikalisierung auch in der Sprache. (..) FrĂŒher war man der Gegner in der politischen Debatte, heute ist man gleich der Feind.“ Man habe ĂŒber lange Zeit wahrnehmen können, dass „immer zunĂ€chst die Verrohung der Sprache kommt und dann meistens Taten folgen.“ Die Taten folgten: „Wir hatten die Attentate von Halle und Hanau, wir hatten den Mord an Walter LĂŒbke.“

    Dazu Sawsan Chebli: „Ich habe da auch viele Morddrohungen bekommen. (..) Ich hatte nicht das GefĂŒhl, dass Facebook mich schĂŒtzt, dass der Hass gelöscht wird. (..) Vor allem weiss ich, dass es fĂŒr meine Familie noch schlimmer ist als fĂŒr mich (..) Die Betroffenen lernen, damit umzugehen (..) Aber die Menschen um einen herum, die belastet das teilweise viel, viel stĂ€rker“. Da habe sie sich „gefragt, lohnt sich das alles, ich bin dann zu dem Schluss gekommen, ja es lohnt sich, ich möchte nicht schweigen, ich möchte nicht kapitulieren. (..) Mein Wunsch wĂ€re es, dass das Thema raus aus der Nische kommt, dass alle kapieren, was es bedeutet, was dieser Hass mit uns als Gesellschaft tut“.

    Was MĂŒller am schlimmsten findet „ist, dass wir diese FĂ€higkeit zum Diskurs verlieren, (..) die FĂ€higkeit, sich auch mal zu streiten. Und am Ende einen Konsens zu erzielen.“ Das fĂŒhre, so MĂŒller, zum „Problem, dass es heute immer schwieriger ist, jemanden zu finden, der sich ĂŒberhaupt noch ehrenamtlich engagieren möchte, (..) vor allem auf der kommunalen Ebene. (..) Das heisst, wir haben eine immer weniger breite Aufstellung der Demokratie. (..) Auf den Markt kommen natĂŒrlich andere, (.. von der) AfD, die sich selbst als Opfer geriert haben, (..) die wollen diese LĂŒcken ja fĂŒllen.“ Deren Ziel sei es, „die Meinung zu beeinflussen, Sie rauszukriegen, Sie rauszubekommen aus der Diskussion und Sie nicht mehr wahrnehmbar zu machen, das wĂ€re der grĂ¶ĂŸte Verlust.“

    „Die Social Media wirken wie ein Brandbeschleuniger “ so Chebli. - „Wir haben es im Bereich Social Media nicht geschafft“, fĂŒhrt MĂŒller fort, „eine eigene Ethik, eine eigene Moral in den sozialen Netzwerken zu entwickeln“. (..) „Wir mĂŒssen aus der AnonymitĂ€t raus.“ (..) Wir mĂŒssen ja nicht zusehen, dass die grossen Konzerne viel Geld verdienen, aber nicht helfen bei der Durchsetzung der Regeln.(..) Wir brauchen Kennzeichnungspflicht. Und wir mĂŒssen die grossen Anbieter dazu zwingen, (..) dass wir die Identifizierungsmöglichkeit schaffen.“ So argumentiert auch Chebli: „Wir haben es verschlafen in den letzten Jahren, Antworten zu finden auf diese gigantische Macht der US-Netzwerke“ mit ihren Algorithmen, die bewirken, „dass Hass nach oben getrieben wird“. Das sei das GeschĂ€ftsmodell von Facebook, was die Whistleblowerin Frances Haugen nachgewiesen habe.

    Jörg MĂŒller berichtet von einer Podiumsdiskussion, wo ein Programmierer aus China gesagt habe: „‚Warum habe ich eigentlich keinen Auftrag, Moral zu programmieren. Ich könnte das. Ich mĂŒsste der Moral und hohen ethischen Werten höhere Punktwerte geben. Ich gebe aber Hass und Gewalt höhere Punktwerte.‘ Wenn wir das wissen, mĂŒssen wir die grossen Konzerne einfach dazu zwingen. (..) Der Anbietungsort muss entscheiden, welche Regeln gelten“. Chebli sieht dafĂŒr Möglichkeiten im Netzwerkdurchsetzungsgesetz: „Wir können das zurĂŒckholen mit einer Politik, die verstanden hat, dass sie reagieren muss und dann auch etwas dafĂŒr tut, dass ihre Gesetze dann durchgesetzt werden“, denn: „Die Zukunft unserer Demokratie wird im Internet verhandelt“.

  • Mit dem langjĂ€hrigen ZEIT-Korrespondenten in Istanbul und Moskau Michael Thumann und der Leiterin des Zentrums fĂŒr angewandte TĂŒrkeistudien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin HĂŒrcan Alsi Aksoy diskutiere ich ĂŒber Erdogans Wahl und die Zukunft der TĂŒrkei.

    Thumann beschreibt die TĂŒrkei als ein „gespaltenes Land“, das einen „polarisierten Wahlkampf mit sehr viel HĂ€sslichkeiten“ erlebt habe. Dabei hĂ€tte die Wahl „eigentlich ein Plebiszit und eine Rechenschaftsablegung sein mĂŒssen ĂŒber mindestens fĂŒnf Jahre desaströser Wirtschafspolitik mit bewusst herbeigefĂŒhrter Inflation“. „Die Opposition hatte echt gehofft, es diesmal umzukippen“, so HĂŒrkan Aksoy.

    Aber Erdogan hat gesiegt. – Warum? Das habe, so Thumann, sehr viel mit IdentitĂ€t zu tun: “Wer bin ich und was ist meine Biographie?“ Das Votum fĂŒr Erdogan sei „eine Wahl fĂŒr die eigene Biographie“ gewesen. „Ein erheblicher Teil der tĂŒrkischen Bevölkerung identifiziert sich geradezu biographisch mit Erdogan: Sein Aufstieg in den 2000er-Jahren, das war mein Aufstieg, da ging es mir plötzlich besser (..) Und all diese IdentitĂ€tsfragen von Herkunft und Glaube (..) spielten eine wahnsinnig wichtige Rolle.“ Das reiche aber noch „nicht fĂŒr 50%. Ich glaube, dass es Erdogan dann gelungen ist“ im Wettlauf „um die WechselwĂ€hler die nationalistische Karte zu spielen.“ Dabei habe Erdogan, so Aksoy, „eine kohĂ€rente Wahlstrategie erarbeitet“, quasi „ein islamistisch-nationalistisches BĂŒndnis“, das gab der WĂ€hlerschaft „ein klares Bild“. Vom „ganz heterogenen BĂŒndnis“ des oppositionellen Sechsertisches mit „Sozialdemokraten, Nationalisten, Islamisten und Liberalen“, glaubte man nicht, dass sie „das Land fĂŒhren könne“.

    Bei aller EnttĂ€uschung nach den Wahlen, ist es nicht besser, dass jetzt Erdogan selbst mit der von ihm angerichteten Wirtschaftskrise fertig werden muss, als dass eine siegreiche Opposition daran scheitern wĂŒrde? Thumann möchte nicht ausschließen, „dass sich die TĂŒrkei in einem stetigen AbwĂ€rtstrend befinden wird und daraus Chancen fĂŒr die Opposition entstehen.

    Die Regierung verfĂŒge aber, so Aksoy, quasi ĂŒber ein Informationsmonopol, die „Medienlandschaft wird ja zu 90% von Erdogan dominiert“. So sei es "wahnsinnig schwierig fĂŒr die Opposition, ihre Information rĂŒberzubringen“.

    Wird die Repression jetzt zunehmen? Aksoy geht davon aus, dass die Regierung ganz gezielt gegen Oppositionspolitiker vorgehen werde, ebenso gegen die zivilgesellschaftlichen Organisationen, besonders gegen jene von Frauen und LGBTQ.

    Das GefĂŒhl, „dass das Land vom Westen allein gelassen wird, herrscht in grĂ¶ĂŸten Teilen der Bevölkerung. Nach Umfragen sind 65-70% anti-westlich ausgerichtet. Und ich befĂŒrchte, nach der Wahl wird das noch weiter vertieft werden. (..) Erdogan wird seine nationalistische, islamistische, antiwestliche Rhetorik“ verstĂ€rken. Es sei aber möglich, „dass sich Erdogan nochmals nach Westen orientieren kann, (..) weil er unbedingt Auslandsinvestitionen braucht.“ So könnte er Mehmet Simsek, den frĂŒheren Wirtschaftsminister zurĂŒckholen, um „bei internationalen Partnern Vertrauen zu schaffen.“ (MS wurde inzwischen zum neuen Finanzminister ernannt.)

    Im Ukrainekrieg gelingt Erdogan, so Thumann, eine erfolgreiche Balance zwischen dem Westen und Russland, und stehe „nach wie vor ziemlich gut da als ein möglicher Vermittler mit dem Vorteil, Anrainer Staat und NATO-Mitglied zu sein“, ohne an westlichen Sanktionen gegen Russland teilzunehmen. So wird er sich dem Westen weiterhin als nĂŒtzlicher Partner fĂŒr die regionale StabilitĂ€t anbiedern. Bundeskanzler Scholz hat ihm ja nicht nur gratuliert, sondern ihn auch noch nach Berlin eingeladen. Diese positive Haltung schaffe aber, so Aksoy, ein „wahnsinnig schlechtes GefĂŒhl bei den oppositionellen liberalen KrĂ€ften in der TĂŒrkei, die sind noch antiwestlicher geworden, die glauben tatsĂ€chlich, dass die EU den Machterhalt von Erdogan wollte“.

  • 2019 legte die EU mit dem „Green Deal“ das Ziel fest, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Bis 2030 sollen dafĂŒr die Treibhausemissionen im Vergleich zu 1990 um 55% reduziert werden („fit for 55“). Im Zentrum steht der Energiesektor, der heute fĂŒr 3/4 der Schadstoffemissionen verantwortlich ist. Putins Krieg hat das ambitiöse Ziel zusĂ€tzlich belastet. FĂŒr den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen (heute 70% der PrimĂ€renergie) soll bis 2035 die EU-Stromproduktion um ein Drittel gesteigert und bis 2050 sogar verdoppeln werden. Das verlangt einen massiven Ausbau des Stromanteils am EU-Energiemix von heute einem Viertel auf 60% bis 2050.

    Wie – oder ob – die KlimaneutralitĂ€t bis 2050 erreicht werden kann, diskutiere ich mit GĂŒnther Oettinger, dem frĂŒheren VizeprĂ€sidenten der EU-Kommission und EU-Energie-Kommissar, und der Politikwissenschaftlerin, Energie- und Klimafachfrau Susanne Nies. Beide Ă€ussern sich trotz vieler offener Fragen zuversichtlich.

    Als europaweites Projekt hĂ€ngt KlimaneutralitĂ€t von der koordinierten Lösung zahlreicher wirtschaftlicher, technischer, administrativer und politischer Probleme ab. Das alles funktioniere, so Oettinger, „nur europĂ€isch, es gibt viel zu viele nationale AlleingĂ€nge und Egoismen“.

    Zu vier der diskutierten Problemfelder:

    Heizen verursacht 1/6 des CO-2-Aussstosses in Deutschland. Deshalb ist geplant, die Zahl der energetischen GebĂ€udesanierungen bis 2030 zu verdoppeln und Heizungen auf WĂ€rmepumpen umzustellen. Die Heizungsdebatte sei deshalb, so Nies, „absolut richtig, aber die Art wie es vermittelt wurde, war eine absolute Katastrophe, das kam rĂŒber als Verbot.“ Deshalb argumentiert auch Oettinger generell fĂŒr „marktwirtschaftliche Lösungen im Regelfall“, insbesondere durch eine CO-2-Bepreisung (ETS) und fĂŒr „Gebote und Verbote nur im Ausnahmefall.“

    Das Übertragungsnetz wird zu einem zentralen Engpass des Energieumbaus. „Die Effizienz unserer Stromnetze ist eine Katastrophe, weil Technologien nicht eingesetzt werden, um Stromnetze optimal zu nutzen“, so Nies. Entscheidend fĂŒr die Konsumsteuerung seien Smart-Meters, damit der Verbrauch in Kenntnis der Kosten erfolgt. „Wie kann es denn sein, dass in diesem Land alle StromzĂ€hler fast alle analog sind.“ Auch Oettinger kritisiert: Durch den Ausbau der WĂ€rmepumpen und E-MobilitĂ€t werden „unsere Bestandsnetze in den StĂ€dten und Gemeinden völlig ĂŒberlastet.“ FĂŒr den grenzĂŒberschreitenden Stromaustausch ist Oettinger hingegen optimistischer: „Wir sind heute viel weiter als vor 20 Jahren“, das habe sich vor allem in der Zusammenarbeit mit Frankreich im letzten Winter gezeigt.

    Energie-Binnenmarkt und Ukraine: Ein erfolgreicher „Green Deal“ verlangt die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Da sei, so Nies, „schon sehr viel passiert (..) Europa ist immer dann vorangekommen, wenn es eine grosse Krise gab.“ Als eindrĂŒckliches Beispiel fĂŒhrt Oettinger die Ukraine und die „grandiose Ingenieurleistung (auf), dass man mitten im Krieg die Integration ins europĂ€ische Stromnetz geschafft hat und es funktioniert.“ Trotz der russischen Angriffe, glaube er, „dass die Ukraine in diesem Krieg bezĂŒglich Strom und Gas keinen grossen Schaden nehmen wird“. Trotzdem, so Nies, „sind die grossen Umspannwerke kaputt (..) und wir sehen in der Ukraine 500ÂŽ000 10-MW-Dieselgeneratoren und das ganze Land stinkt nach Diesel“.

    Ohne Rahmenabkommen bleibt die Schweiz ohne Stromabkommen. Das gefĂ€hrdet die Versorgungssicherheit und fĂŒhrt zu hohen Kosten. Das ausgehandelte und dann von Bern abgelehnte Rahmenabkommen sei, so Oettinger, eine Chance, ein Zeitfenster gewesen, „das Zeitfenster ist zu. Bis zu den europĂ€ischen Wahlen (Juni 2024) wird gar nichts mehr geschehen. (..) Mit gutem Willen könnte man 2025 ein Rahmenpaket mit einem Stromabkommen beschliessen. Besser spĂ€t als nie.“ Bis dann „Notlösungen, Übergangslösungen, kein effizientes Europa“.

  • Mit der iranischen KĂŒnstlerin Parastou Forouhar und dem deutsch-iranischen Politologen Ali Fathollah-Nejad diskutiere ich ĂŒber die iranische Protestbewegung. Seit dem 16. September, als die staatlichen SicherheitskrĂ€fte die verhaftete Kurdin Mahsa Amini ermordet haben, lehnen sich im ganzen Land Menschen aus allen Schichten und Regionen - an vorderster Front Frauen, Jugendliche und Arbeiter - gegen das Regime auf. Trotz massiver Repression kommt das Land nicht zur Ruhe. Der Auslöser war die Verweigerung von Mahsa Amini und anderer Frauen, sich dem Kopftuchzwang zu unterwerfen, aber sehr rasch eskalierte der Konflikt zu einer grundsĂ€tzlichen Konfrontation mit der religiös begrĂŒndeten Herrschaft des Regimes. Die geballte Wut der Bevölkerung gegen das Regime Ă€usserte sich schon frĂŒher in grösseren Demonstrationen, die aber – im Gegensatz zu heute – rasch niedergeschlagen wurden.

    Die Konfrontation hat sich zusehends verhĂ€rtet. Kaum jemand glaubt noch an eine Lösung innerhalb des Systems. Diese breite Desillusionierung fĂŒhrt aber kaum mehr zu Resignation, sondern - trotz brutaler Repression mit Hunderten Toten und Zehntausenden Verhafteten - zu einer Aufbruchstimmung mit Hoffnungen auf eine grundsĂ€tzliche VerĂ€nderung, auch wenn diese nicht absehbar ist.

    Besonders unter jĂŒngeren Menschen habe sich – so Parastou Forouhar – das Wertesystem verĂ€ndert. Sie sahen sich lange gezwungen, in der Oeffentlichkeit die restriktiven Regeln des Staates des zu befolgen und fĂŒhlten sich dabei als MittĂ€ter, weil sie sich nicht genĂŒgend gewehrt hĂ€tten. Dabei versuchten sie nur, in einer falschen Situation richtig zu leben, anstĂ€ndig, lebensbewahrend, um ihre menschliche WĂŒrde zu bewahren. Heute sind vor sie nicht mehr bereit, dieses Doppelleben, diese Doppelmoral mitzumachen. Sie rebellieren und versuchen, sich selbst zu sein.

    Die Avantgarde der Bewegung sind die Frauen, die ihre Selbstbestimmung einfordern und mit dem verkrusteten Regime alter MÀnner kollidieren. Diese identifizieren sich nur noch mit der Vergangenheit und verweigern diese Selbstbestimmung. Dabei fÀllt der sexuelle Subtext der Konflikte auf, wenn auffallend attraktive junge Frauen ermordet werden und massive Vergewaltigungen zum Repressionsinstrument des Regimes geworden ist, das der toxischen MÀnnlichkeit sexuell frustrierter SchlÀgertrupps freien Lauf lÀsst.

    Die Positionen verhĂ€rten sich zusehends, die eine Seite zeige sich immer schöner, lebensbejahender, und die andere Seite benehme sich wie Untote, wie Zombies. „Ihre Zeit ist vorbei, die sind vorbei, aber sie haben es noch nicht kapiert und zehren von der Lebensenergie der anderen“. Als Beispiel fĂŒhrt Forouhar einen WiderstandskĂ€mpfer auf, der vor der Vollstreckung seines Todesurteils als seinen letzten Willen verlangte, dass die Menschen an seinem Grab Musik spielen und tanzen sollen – beides verboten - nur tanzen und glĂŒcklich sein, keine Korantexte! Die zentrale Parole der Bewegung: „Frau Leben Freiheit“ markiere eine absolute Abkehr vom Gottesstaat, lebensbejahend und sĂ€kular.

    Die Kluft ist irreversibel geworden, beide Seiten sind auf Kolisionskurs und das System bietet keinen Ausweg aus der Blockade. Den Konflikt bezeichnet Ali Fathollah-Nejad als einen langfristig revolutionĂ€ren Prozess, der schon heute eine neue QualitĂ€t erreicht, weil er schichtĂŒbergreifend alle Regionen und ethnischen Minderheiten mobilisiere. Wirklich revolutionĂ€r wĂŒrde er aber nur, wenn er sich – was nicht auszuschliessen sei - zu einer breiten Massenbewegung entwickle, wenn sich die Streiks ausdehnen und sich die Risse im Machtapparat vertiefen. FĂŒr das letzte sei die Haltung Europas wichtig, wenn zum Beispiel die EU die iranischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen wĂŒrden, um das klare Signal zu setzen, dass das System keine Zukunft hat. Das iranische Regime habe sich immer nur dann bewegt, wenn der Druck immens war, von innen und von aussen durch harte Sanktionen.

  • Mit Isabelle Werenfels, der Nordafrikaspezialistin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, und Daniel Gerlach, dem Buchautor, Orientalisten und Filmproduzenten, diskutiere ich ĂŒber beide Staaten in ihrer heutigen politischen Lage. Der Vergleich bietet sich – trotz geographischer Distanz – durch eine Reihe von Parallelen an: Beide sind mit einer Bevölkerung von je 43 Millionen gleich gross. Beide waren in den letzten Jahrzehnten Opfer von politischer Gewalt: Kriege, BĂŒrgerkriege, Repression und Terrorismus haben in beiden LĂ€ndern wohl je ĂŒber eine Million Todesopfer gefordert und haben damit die Gesellschaft zerrĂŒttet: In Algerien durch den UnabhĂ€ngigkeitskrieg 1954-62 und den BĂŒrgerkrieg 1992-2002 - im Irak durch Saddams Angriffskrieg gegen den Iran, seine Repression gegen die Kurden und Schiiten, die verheerenden Folgen des UNO-Programms Oil for Food, durch den US-Angriffskrieg 2003 und den Terrorismus des IS-Staates 2014-2017. Dabei wurden beide Staaten durch den islamistischen Terror existentiell gefĂ€hrdet: Algerien im BĂŒrgerkrieg durch die islamistische „Front islamique du Salut“ (FIS), der Irak durch den „Islamischen Staat“, der erst 2017 von einer breiten nationalen Allianz mit amerikanischer und iranischer UnterstĂŒtzung besiegt werden konnte.

    In beiden Staaten stĂŒtzt sich die staatliche Macht auf die StreitkrĂ€fte, auf die Armee in Algerien, auf die Milizen im Irak. Entscheidend sind aber die grossen Öl- und Gaseinnahmen, die es der Regierung, erlauben, Legitimation zu „kaufen“ und die Bevölkerung in direkter AbhĂ€ngigkeit vom Staat zu halten. Gegen diese MachtausĂŒbung mobilisierte sich 2019 in beiden Staaten eine breite zivilgesellschaftliche Protestbewegung: In Algerien stoppte die Hirak-Bewegung die fĂŒnfte PrĂ€sidentschaft des greisen Bouteflika. Im Irak richtete sich die breite Tishreen-Mobilisierung gegen die ganze politische Klasse und ihre Korruption und ĂŒberschritt damit die religiös und ethnisch bestimmten Grenzlinien der irakischen Politik. Trotzdem erreichte die „Strasse“ dadurch keine grundlegenden Reformen. In Algerien behaupten sich die Machtstrukturen von Armee und BĂŒrokratie, kooptierten die Opponenten ins System und schwĂ€chten die zivilgesellschaftlichen KrĂ€fte. Im Irak setzt sich die Auseinandersetzung zumindest in einem einigermaßen demokratischen aber nach wie vor fragilen System fort.

    Die Iraker sind heute, auch in der Folge des russischen Angriffskriegs, darum bemĂŒht, die auslĂ€ndische Einmischung abzuwehren. Das sei aber nur möglich, so Daniel Gerlach, „wenn sie ihre gesellschaftlichen Konflikte ĂŒberwinden können, dann sind sie auch wieder in der Lage, SouverĂ€nitĂ€t zu erlangen. (..) Viele Iraker fĂŒhlen sich so, als wĂ€ren sie eigentlich noch ein besetztes Land“. Algerien hingegen, so Isabelle Werenfels, knĂŒpfe nach der internationalen Isolation der letzten Jahre an seine Tradition der blockfreien NĂ€he zur Sowjetunion an, versuche heute, international wieder „ein Player zu sein“ und verfolge seine blockfreie Haltung mit einem Antrag, „den BRIC-Staaten“ (Brasilien, Russland, Indien, China) beizutreten. „Gleichzeitig war dieser Krieg fĂŒr die Algerier auch ein Erwachen“ bezĂŒglich der QualitĂ€t russischer Waffen, die den Hauptteil der algerischen RĂŒstung ausmache. Sie wollen „ihre UnabhĂ€ngigkeit stĂ€rken, in dem sie in alle Richtungen spielen, aber immer“ mit der Ansage „wir schwimmen gegen den westlichen Strom“. Trotzdem habe sie, „in keinem Land, wo ich gewesen bin, so viele Sympathien fĂŒr Russland erlebt, wie in Algerien (..) Gleichzeitig wollen alle nach Frankreich“.

  • Mit dem CDU-Kanzlerkandidaten von 2021 und frĂŒheren NRW-MinisterprĂ€sidenten Armin Laschet und Frau Prof. Ursula MĂŒnch, Direktorin der Akademie fĂŒr politische Bildung in Tutzing diskutiere ich ĂŒber das SelbstverstĂ€ndnis der CDU in der Opposition.

    Auf die Frage, was hĂ€tte Armin Laschet als Bundeskanzler besser gemacht, antwortet er: „Ich wĂ€re in vielem, was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, Ă€hnlich zurĂŒckhaltend wie Olaf Scholz (..), ich wĂŒrde (jedoch) das Ganze europĂ€ischer anlegen, ich wĂŒrde mehr und enger mit Frankreich zusammenarbeiten (..), aber die Grundrichtung findet im Moment einen Konsens auch ĂŒber die reine Regierung hinaus“. Hingegen bezĂŒglich anderer Bereiche, so Ursula MĂŒnch, hĂ€tte „man sicherlich Unterschiede feststellen können, bei gesellschaftspolitischen Themen“: Gleichstellung, Minderheiten, Abtreibung und Migration, „da wĂ€ren die Konflikte wesentlich stĂ€rker gewesen“, vor allem innerhalb der relativ heterogenen CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

    Zu einem neuen konservative Grundsatzprogramm der CDU stellt Laschet richtig: Die CDU sei " keine konservative Partei. Konrad Adenauer hat das Wort immer gemieden.(..) und von Christdemokraten gesprochen.“ Dieser weitere Blick werde „vom christlichen Menschenbild abgeleitet. Das Grundsatzprogramm muss das jetzt in die neue Zeit ĂŒbersetzen (und) aus den Grundwerten heraus konkrete Politik ableiten.“ Dagegen fragt sich MĂŒnch, „ ob fĂŒr eine Partei wie die CDU der grosse Wurf eines Grundsatzprogramms ĂŒberhaupt erforderlich ist, die CDU ist keine Programmpartei.“ - Dazu Laschet : „Wir leben in einer Zeit, in der auch die andern pragmatische Antworten geben mĂŒssen. Das was jetzt gerade passiert, hat mit dem, was im Bundestagsprogramm von SPD und GrĂŒnen steht, nichts mehr zu tun, gar nichts. Es wird in diesem Jahr mehr Kohle verbrannt, als je zuvor, mit einer grĂŒnen Regierungsbeteiligung“.

    Steuert die CDU eher nach rechts oder eher in die Mitte? Laschet unterstreicht, „dass Wahlen in der MItte gewonnen werden und die CDU eine Partei der Mitte bleiben muss". - FĂŒr MĂŒnch stellt sich die Frage auch bezĂŒglich der AfD: „Überlasst man Positionen rechts der Mitte extremistischen Parteien, das ist nicht nur fĂŒr die Union eine wichtige Frage, sondern fĂŒr die ganz Bundesrepublik. (..) Interessant wird es nĂ€chstes Jahr mit Blick auf die Landtagswahlen in einigen ostdeutschen LĂ€ndern, wo dann auch in CDU-LĂ€ndesverbĂ€nden sicherlich Positionen geĂ€ußert werden, womöglich zu einer kĂŒnftigen Tolerierung der AfD und da wird die CDU-Spitze gefordert werden“.

    Hat die CDU ein Frauenproblem? „Ja, das stimmt“, rĂ€umt Laschet ein, „die CDU-Fraktion hat zu wenig Frauen (..) Es muss insgesamt das GefĂŒhl geben, ja, auch in dieser Partei haben Frauen ihren Platz und das ist bei uns zu wenig zu spĂŒren und deshalb brauchen wir im Moment noch Quoten“. Das Problem stelle sich, so MĂŒnch, „wer ist im Moment in der CDU sichtbar, eine Frau? Da ist tatsĂ€chlich wenig vorhanden.(..) Die Frauen (..) wollen eine attraktive Partei, wo sie sich nicht entschuldigen mĂŒssen, dass sie fĂŒr die CDU Sympathien hegen, die aber als ewig gestrige Partei gilt. Und diesen BrĂŒckenschlag zu treffen (..), das ist der CDU noch nicht so ganz gelungen.“

    Zur Gretchenfrage, wie haben Sie es mit dem lieben Gott und dem hohen C im Parteinamen? „Das ist wirklich“, so Laschet „Wesenskern der Union, Markenkern, dass man Politik aus dem christlichen Menschenbild macht.(..) Das heisst, du siehst den Menschen als Person, er ist Individuum und soziales Wesen zugleich. Das ist der Unterschied zu allen andern Parteien. Christliches Menschenbild in der Form der sozialen Marktwirtschaft verbindet das“.- „Was ich aber vermisse“, so MĂŒnch, „ist dann ein selbstbewusstes Dazu-Stehen und es dann auch immer wieder begrĂŒnden. Da wĂŒrde ich der CDU einen souverĂ€neren Umgang damit raten, um dann sichtbar zu machen, wo ist da der Unterschied (..) zu den anderen Parteien.“