Afleveringen

  • Die Zukunft – was für ein Begriff! Sie scheint weit weg, ungewiss, vielleicht sogar bedrohlich. Doch was wäre, wenn wir begreifen, dass es nicht die eine Zukunft gibt, sondern viele? Zukünfte existieren im Plural. Wir haben die Wahl, welche wir anstreben, welche wir gestalten – und welche wir verhindern wollen.

    Doch diese Wahl ist hart umkämpft. Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, sieht in unserer Gesellschaft einen erbitterten Streit um die Frage, wie unsere Zukunft aussehen soll. Zwei Modelle prallen aufeinander: ein demokratisches, rechtsstaatliches und ein autoritäres, völkisches. Insbesondere in Thüringen und Sachsen, wo die AfD bei den letzten Landtagswahlen starke Ergebnisse erzielte, ist dieser Konflikt greifbar. "Es stehen tatsächlich verschiedene Modelle der Zukunft zur Wahl", sagt Jens-Christian – und erinnert daran, dass das autoritäre Modell auf historischen Vorbildern fußt, die wir nie wieder erleben wollen.

    Jens-Christian, der seit Jahrzehnten in der Gedenkstättenarbeit tätig ist, spricht eindringlich über die Bedeutung der Erinnerungskultur. Für ihn reicht es nicht, nur über die Opfer des Nationalsozialismus zu trauern. Wir müssen auch über die Täter, Mittäter und Profiteure sprechen. Wer waren sie? Warum haben sie mitgemacht? Und was können wir daraus für die Gegenwart und Zukunft lernen? Diese Fragen sind zentral, wenn wir begreifen wollen, wie Gesellschaften in den Abgrund geraten und wie wir verhindern, dass sich Geschichte wiederholt.

    Aber wie vermittelt man solch komplexe Themen? Die Gedenkstätten in Buchenwald und anderswo haben ihre Bildungsarbeit umgestellt. Statt kurzer Führungen, die oft wenig Nachhall haben, setzen sie auf intensive Projekte, die tiefes Nachdenken und Reflexion ermöglichen. Das Ziel: Die Besucher sollen nicht nur über die Vergangenheit urteilen, sondern auch über die Gegenwart und Zukunft. Jens-Christian bringt es auf den Punkt: "Geschichte begreifen, für die Zukunft handeln."

    Ein Blick in die politische Landschaft zeigt jedoch, dass Wissen allein nicht ausreicht. Rechte Parteien, allen voran die AfD, nutzen Emotionen wie Angst und Wut, um Wähler zu mobilisieren. Fake News und Desinformation spielen dabei eine zentrale Rolle – oft erfolgreicher, als man zugeben möchte. Jens-Christian sieht darin eine gefährliche Entwicklung, die es zu bekämpfen gilt. "Wir dürfen den Populisten und Verschwörungstheoretikern nicht das Feld überlassen", mahnt er. Doch bloße Fakten genügen nicht. Jens-Christian und Michael sind sich einig: Es braucht positive Emotionen, Optimismus und eine klare Vision einer besseren Zukunft, um die Menschen für eine demokratische Gesellschaft zu gewinnen.

    Denn am Ende, so Jens-Christian, geht es darum, welche Zukunft wir uns vorstellen und welche wir gestalten wollen. Eine Zukunft, in der die Würde jedes Menschen geachtet wird. Eine Zukunft, die demokratisch, friedlich und menschlich ist. Oder, wie Jens-Christian es formuliert: „Zukunft ist nichts, was man fürchten muss. Sie ist etwas, auf das wir uns freuen können, weil wir sie selbst in der Hand haben.“

    Zu Gast: Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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  • Eins vorweg: Insekten sind extrem erfolgreich. 52% der beschriebenen Arten auf dem Globus sind Insekten. Die meisten leben in Nischen, sind hoch spezialisiert und können eine Sache besonders gut. Im Fall der Schwarzen Soldatenfliege, genauer ihrer Larve, ist das: Essen. Sie frisst organische Stoffe. Also genau das, was wir früher Biomüll genannt haben. Das Team um Jonas Finck von madebymade und REPLOID hat um sie herum einen industriellen Prozess entwickelt, um die Lücken in der Kreislaufwirtschaft zu schließen. Doch der Reihe nach. 

    Wer Lebensmittel produziert, hat Reste. Es gibt Überproduktion, Maschinen werden gereinigt, etc. Es bleibt immer etwas übrig, das reich an Nährstoffen ist. Das lässt sich verwerten. Bislang gehen Bäcker, Nudelmacher und Ketchup-Quetscher hin und entsorgen ihre Reste, zum Beispiel in der nächsten Biogasanlage. Hier setzt Jonas an. Er bringt nicht nur die Larven vorbei, sondern gleich eine ganze Anlage. Die Lösung kommt zum Problem. Die jungen Larven fressen sich binnen sieben Tagen durch den Berg. Ihre Ausscheidungen sind 1a Dünger; der kann direkt aufs Feld. Die Larven selber verwandeln ihr Futter direkt in Proteine und Fett. Sie wandeln sich selbst zum idealen Tierfutter. Hund und Katze freuen sich schon. Das Beste: Was bleibt übrig? Nichts. 

    Das Spannende an der Biologie: Das Insekt kann das schon immer. Wir müssen es nur wahrnehmen. Viel von Jonas’ Job ist es daher, die Tiere genau zu beobachten und ihr Verhalten zu verstehen. Denn die Brücke, die Jonas’ Larven schlägt, wird immer wichtiger. Der Bedarf an Tierfutter steigt drastisch an. Die üblichen Quellen versiegen allmählich; Schlachtnebenprodukte - ein wundervoll-furchtbares Wort für ein rückläufiges Thema. Die schwarze Soldatenfliege wird hier zum Nutztier, zur planbaren und nachhaltigen Rohstoffquelle. Als wäre es Landwirtschaft. Entsprechend sind Jonas und sein Team auch auf regionale Kreisläufe ausgerichtet, haben eine Anlage entwickelt, die immer noch zwischen Stall und Biogasanlage auf den Hof passt. Die Bio-Revolution im Hinterhof. 

    Zu Gast: Dr. Jonas Finck, Gründer und CEO von madebymade, Chief Biology Officer @ REPLOID Group AG

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  • Zijn er afleveringen die ontbreken?

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  • Die AfD ist destruktiv und sie bietet keine Lösungen. Sie saugt unsere Aufmerksamkeit auf, verlockt andere Parteien dazu, sich fast nur noch mit den Lieblingsthemen der AfD zu befassen - und wirklich wichtiges bleibt derweil ungelöst. Es sieht nicht gut aus, aber kein Grund, ganze Landstriche verloren zu geben. Das sagt der Autor und Journalist Stephan Anpalagan im Podcast bei Michael. Indem die AfD die Unzufriedenheit verstärkt, zieht sie weiterhin Wähler an, was zu einem Teufelskreis führt, in dem es immer schlimmer wird.

    Stephan sagt: Migration ist eben nicht das zentrale gesellschaftliche Problem unserer Zeit, obwohl es oft so dargestellt wird. Er kritisiert scharf die Darstellung von Migration als „Mutter aller Probleme“, wie sie von einigen politischen Akteuren propagiert wird. Für ihn ist diese Fokussierung auf Migration als das zentrale Problem ein populistischer und falscher Diskurs, der von den eigentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen ablenkt.

    Stephan argumentiert, dass es weitaus dringendere Probleme gibt, wie etwa den Klimawandel, die wirtschaftliche Ungleichheit, den Zustand der Infrastruktur oder die Qualität der Bildung und des Gesundheitssystems. Diese Themen erfordern komplexe und nachhaltige Lösungen, die jedoch oft durch den einfachen, aber irreführenden politischen Diskurs über Migration in den Hintergrund gedrängt werden. Er sieht die Fixierung auf Migration als eine bequeme Ausrede für Politiker, die keine echten Lösungen für die tieferliegenden gesellschaftlichen Probleme anbieten wollen.

    Stephan kritisiert im Gespräch die politische Debatte rund um Abschiebungen. Die Forderung nach Abschiebungen ist zwar populär, Politiker müssen sich aber nie an den tatsächlichen Ergebnissen messen lassen. Dies liegt daran, dass viele der großen Fragen im Bereich Migration und Asyl auf europäischer Ebene verhandelt werden müssen. Politiker können daher Abschiebungen als einfache Lösung für komplexe Probleme präsentieren, ohne dass sie tatsächlich etwas Konkretes liefern müssen.

    Stephan hebt hervor, dass Abschiebungen oft diejenigen Menschen treffen, die gut integriert sind, während es schwierig ist, kriminelle oder gefährliche Personen abzuschieben. Die Forderung nach massenhaften Abschiebungen wirkt daher oft populistisch und kurzfristig gedacht. Sie führt nicht zu echten Lösungen, sondern zielt lediglich darauf ab, politischen Gewinn durch Härte zu erzielen, ohne dabei die langfristigen Folgen oder realistische Maßnahmen in Betracht zu ziehen.

    Stephan folgert aus seiner Analyse, dass es immer Hoffnung auf eine Zeit nach „rechts“ gibt. Er ist der Ansicht, dass demokratische Gesellschaften, auch wenn sie von extremen rechten Kräften bedroht werden, durch die Stärke ihrer Institutionen und das Engagement ihrer Bürger letztlich in der Lage sind, diese Tendenzen zu überwinden. Er verweist auf Beispiele wie die USA nach Donald Trump oder Polen unter der Führung von Donald Tusk, wo es gelungen ist, nach einer Phase des Erstarkens rechter Kräfte eine Rückkehr zu demokratischen und rechtsstaatlichen Werten zu erreichen.

    Stephan betont, dass es zwar Phasen geben kann, in denen rechte oder radikale Parteien an Einfluss gewinnen, doch diese Kräfte in stabilen Demokratien nicht zwangsläufig die Oberhand behalten. Es gibt immer Raum für positive Entwicklungen, wenn Menschen und Institutionen sich aktiv für demokratische Werte einsetzen. Diese Perspektive zeigt, dass er trotz der gegenwärtigen Herausforderungen optimistisch ist, dass es eine Zeit nach der aktuellen rechtsextremen Bewegung geben kann. Insofern: Wir müssen nichts verloren geben.

    Zu Gast: Stephan Anpalagan, Manager, Berater, Theologe, Journalist und Autor. Sein aktuelles Buch heißt

  • New Work ist mehr als flexible Arbeitsräume. So weit, so einfach. Gabriel Rath arbeitet (!) daran, Menschen und Unternehmen dazu zu bringen, über Arbeit neu nachzudenken. Im Podcast betont er: New Work bedeutet nicht bloß, in schicken Büros zu arbeiten oder regelmäßig den Arbeitsplatz zu wechseln. Stattdessen geht es darum, Arbeit aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Die zentrale Frage ist, wie Arbeit menschenfreundlicher gestaltet werden kann und gleichzeitig dazu beiträgt, Gutes zu tun.

    Zu idealistisch? Arbeit bedeutet auch Anstrengung. Gabriel vergleicht sie mit dem Laufen: Man muss sich anstrengen und aus der Komfortzone herauskommen, um wirklich Fortschritte zu erzielen. Arbeit kann erfüllend und sinnvoll sein, aber auch Herausforderungen und Reibungen gehören dazu. Menschen entwickeln sich in der Arbeit vor allem dann, wenn sie gefordert werden. Herausforderungen fördern Wachstum und Selbstwirksamkeit. Rath hebt hervor, dass es wichtig ist, sich in der Arbeit selbst wiederzufinden und die Möglichkeit zu haben, einen Unterschied zu machen.

    Es wird Zeit für diese neue Perspektive auf das Thema Arbeit. Zugleich verlangt New Work eine neue Kompetenz von uns: Die Fähigkeit, das eigene Leben immer wieder neu zu entwerfen und umzusetzen, immer wieder neu zu lernen. Eine Berufsbiografie wird zu einem großen Lego-Spiel: Immer wieder neu kombinierbar entsteht immer wieder etwas Neues. Selbständigkeit plus Teilzeit, dann wieder plus Ehrenamt, dann mehr Familie … Diese Flexibilität erfordert jedoch auch Eigenverantwortung und die Bereitschaft, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.

    Befeuert wird diese Entwicklung von der rasanten technologischen Entwicklung. Gabriel sieht in der KI eine Chance, Arbeit wieder menschlicher zu gestalten. KI kann repetitive Aufgaben übernehmen, wodurch Menschen sich auf kreative und kooperative Tätigkeiten konzentrieren können. Für die Zukunft wird es entscheidend sein, diese beiden Bereiche – Technologie und New Work – zusammenzudenken, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das sowohl effizient als auch erfüllend ist.

    Zu Gast: Gabriel Rath, Podcaster "New Work Chat", Speaker & Moderator

    Ein Beispiel für sehr weitgehende Veränderungen der Arbeit ist die Sparkasse Bremen. Die Folge mit dem Vorstand und Treiber dieses Wandels, Pranjal Kothari, findet sich hier

    Das Buch des LinkedIn-Gründers Reid Hoffman heißt „The Startup of You“

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  • Nehmen wir die Sprüche von Paulo Coelho doch mal ernst. In Sonntagsreden rezitiert, in der Klassenarbeit rot angestrichen. Von wegen "aus Fehlern lernen". Klassisch lernt das Kind: Pünktlich sein, Arbeitsanweisungen zuverlässig ausführen, der Obrigkeit zuhören. Damit kann ich anschließend 40 Jahre unfallfrei Traktor fahren. Aber eine Kompetenz für die Welt von heute und morgen ist das nicht. Schule kann deshalb nie so bleiben, wie sie war, sagt Gert Mengel, Schulleiter der Don-Bosco-Schule in Rostock. 

    Heute muss es um eine Grundhaltung des Lernens gehen: um Offenheit, Neugierde. Der Einzelkämpfer hat ausgedient. Die Herausforderungen von heute lassen sich nur in Kooperation lösen. Teilen ist eine zentrale Kompetenz. Die Ressourcen werden knapper, wir werden es lernen müssen.

    Ein tief gehender Veränderungsprozess in Schulen braucht zehn bis 15 Jahre. Auch das geschieht wie im Lehrbuch: Die einen befassen sich mit den Themen und entwickeln neue Vorschläge – die anderen halten die Vorschläge für das Problem. Für eine echte Entwicklung in der Schule braucht es Geduld und Zeit – oder eine Krise. Gert betont: Viele der Schulen, die heute ausgezeichnet und begehrt sind, standen zunächst vor dem Ende.

    Gert arbeitet an einer anderen Prüfungskultur. Warum ist die Klausur das Ende – es kann doch auch die Mitte sein, oder? Arbeiten wir mit den Ergebnissen weiter, lassen wir Schüler sich gegenseitig Feedback geben, eben: lernen. Der Originalvorwurf, den Gert daraufhin bekam: „Ja, aber dann sind doch am Ende alle gut“. Als wäre es die vornehmste Aufgabe der Schule, permanent zu filtern, wer gut und wer schlecht ist – anstatt dafür zu sorgen, dass alle lernen und sich entwickeln. Schule als System mit selektierendem Charakter … Gert hält dagegen: Schule soll nicht Grenzen aufzeigen, sondern Horizonte öffnen.

    Moderne Unternehmen arbeiten team- und projektorientiert. In der Schule ist das ein Täuschungsversuch; man sieht den Unterschied. Gert verweist auf die Lernprozesse, die tief im System stecken. Da kann der Schulleiter in der Abschlussrede sagen, was er möchte. Die Praxis zeigt: Wer am besten den Ellenbogen einsetzen kann, um andere am Abschreiben zu hindern, der bekommt die besten Noten, der wird Karriere machen. Wir wundern uns dann, warum New Work nicht funktioniert. Wir wundern uns, warum es den Vorgesetzten an sozialer Kompetenz mangelt. Dabei braucht es gar nicht so wahnsinnig viel Mut. Im Rahmenplan steht: Die Schüler sind in die Gestaltung des Unterrichts einzubeziehen. Einfach mal an die Gesetze halten.

    Die Folge mit Micha Pallesche gibt es hier.

    Zu Gast: Gert Mengel, Schulleiter der Don-Bosco-Gesamtschule in Rostock. Seine Podcasts „Kreide.KI.Klartext“ und „Große Hofpause“ sind auf allen Podcast-Plattformen.

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  • #NieWiederIstJetzt. Hier könnte dieser Text enden, denn das Wichtigste ist gesagt. Diesem Slogan haben sich seit Jahresbeginn mehrere Millionen Menschen in Deutschland angeschlossen und für die Demokratie demonstriert. #NieWiederIstJetzt ist auch der Name der am schnellsten wachsenden Gruppe auf dem Business-Netzwerk LinkedIn, gegründet von Thomas Leibfried, dem Gast dieser Episode.  

    Das kommt dabei heraus, wenn ein politisch denkender Mensch abends im Büro überlegt, wie man sich mit ein paar Gleichgesinnten vernetzen kann. Wobei „Gleichgesinnte“ hier nur meint: Menschen, die ebenfalls mit beiden Beinen fest auf demokratischem Boden stehen. Unter den heute annähernd 20.000 Mitgliedern der LinkedIn-Gruppe ist das volle Spektrum der demokratischen Positionen abgebildet. Das gehört zu den Erfahrungen, die hier wirklich erstaunen. Der rechte Rand will uns immer wieder glauben machen, unsere Gesellschaft sei gespalten, sei ein Irrgarten von Sprech- und Denkverboten und kaum zum Dialog fähig. Aber kaum sind die Demokratiefeinde nicht an Bord, ist der Dialog plötzlich gar nicht mehr so schwierig, auch zwischen unterschiedlichsten Positionen. Ein gemeinsames Fundament hilft ganz offensichtlich.

    Lange galt es als gesetzt: Im professionellen Kontext spricht man nicht über Politik. Das ist offensichtlich Geschichte. Thomas und Michael diskutieren, wie sich diese Regel ins Gegenteil verkehrt oder besser: korrigiert hat. Haltung ist inzwischen nicht nur möglich, sie ist nötig. Spannend wird es, wenn sie auch kostet: Schicke ich den Handwerker mit einem eindeutigen Tattoo wieder weg, wenn dafür das Dach ein halbes Jahr nicht gemacht ist? Lasse ich die Stelle weiter vakant, wenn die Bewerber:innen nicht zweifelsfrei auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Und wie gehe ich als Großkonzern mit der Tatsache um, dass ich in der Belegschaft statistisch genau so viele AfD-Wähler:innen haben werde, wie sie in der Gesamtbevölkerung zu finden sind?

    Thomas weist im Gespräch auf den Zeitverzug hin. Es ist gut, dass Demokrat:innen sich jetzt vernetzen. Die Feinde der Demokratie haben hier einen Vorsprung. Diesen werden wir nicht ohne Weiteres und gar nicht schnell aufholen. Umso wichtiger, heute anzufangen.

    Dem Team von Carls Zukunft ist es an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass unsere Brandmauer stabiler steht denn je. Niemand von uns würde jemals die AfD wählen. Wir nehmen keine Aufträge von Nazis an und kooperieren nicht mit ihnen. Da gibt es nichts zu diskutieren. Wer mit Nazis reden will, sollte besser bei der Staatsanwaltschaft arbeiten oder Richter:in sein; das ist eine gute Gesprächsgrundlage.

    Zu Gast: Thomas Leibfried, Head of RPO - Diversity Council Mitglied für 50+ / Demokrat, Gründer der LinkedIn Gruppe "NieWiederIstJetzt"

  • Auf zur Ortskontrollfahrt – welches Verkehrsmittel darf es denn sein? Für Laura darf es gerne das Fahrrad sein. Schnell, unabhängig, sportlich - und am Zielort muss niemand einen Parkplatz suchen. Laura Gebhardt ist Mobilitätsforscherin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ihr wichtigstes Learning aus zahlreichen Projekten: Mobilität ist kein technologisches Problem. Es geht nicht um Batteriekapazität und Reichweite. Es ist auch kein moralisches oder vorrangig regulatives Problem. Zentral sind die Bedürfnisse der Nutzer:innen - und die sind komplex.

    Wer eine zukunftsfähige Mobilität realisieren will, muss zunächst genau zuhören. Da tauchen Themen wie Gewohnheit auf: Selbst wenn der Mensch täglich im gleichen Stau steht – sind die eigenen Abläufe erst einmal auf das Auto ausgerichtet und hat der Kaffeebecher seinen festen Platz, wird es auch morgen wieder das Auto sein. Die Mobilitätsexpertin Katja Diehl hat herausgearbeitet, wie viele Menschen täglich das Auto nutzen, obwohl sie gar nicht gerne fahren. Und dennoch …

    Angst ist ein weiteres Thema. Laura hat erlebt, wie in einem Projekt der traditionelle Bus durch einen On-Demand-Bus ersetzt wurde. Der fährt immer dann, wenn er gebraucht wird, aber eben nicht mehr um 19 nach, so wie früher immer. Das löst Ängste aus, ausreichend noch so intelligente neue Lösungen scheitern zu lassen.

    Wo würde Laura anfangen, auf einer grünen Wiese? Bei der Mobilität selbst. Denken und planen wir Mobilität, bevor wir Wohnhäusern, Gewerbeimmobilien und Büroräumen ihren Platz zuweisen. So entstehen die Räume, die wir oft vermissen, wenn es daran geht, zukunftsfähige Mobilität zu realisieren. Und wenn denn noch ein Wunsch frei wäre? Kilometerlange, echte Fahrradstraßen, so wie in Holland, Frankreich und Dänemark. Das muss der Mensch nicht einmal mehr erfinden.

    Zu Gast: Dr. Laura Gebhardt, Wissenschaftlerin in der Abteilung Mobilität und Urbane Entwicklung des DLR-Instituts für Verkehrsforschung in Berlin

  • Wir müssen über den Krieg reden. Immer noch. Ein Gegenwartsthema, wie aus einer vergangenen Zeit - und doch werden gerade die Grundlagen für die Zukunft gelegt, in großem Maßstab. Klaus Gestwa sagt: Seit Anfang 2023 erleben wir einen Zermürbungskrieg, wie wir ihn eigentlich nur aus den beiden Weltkriegen kannten, ergänzt um moderne Kriegstechnik und Live-Bilder via Social Media. Eine Situation, mit der wir noch gar nicht wirklich umgehen können. Klaus ist Professor an der Universität Tübingen und leitet dort das Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde.

    Erste Frage: Wann wird das Kämpfen aufhören? Klaus betont: Aktuell glauben beide Seiten, militärisch etwas erreichen zu können. Die Einsicht „jetzt geht nichts mehr“ steht noch aus. Insofern wird es 2024 nichts mit einer Waffenruhe. Er betont aber auch, wer der Aggressor ist: Wenn Putin seine Soldaten zurückzieht, wird der Krieg morgen vorbei sein. Der Putinismus sieht das allerdings nicht. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer politischen Umkehr ist fern; der Herrscher im Kreml wähnt sich auf einer historischen Mission. Insofern bleibt als einzig plausibler Weg zu Waffenstillstand und Verhandlungen, Russland militärisch mindestens auf Augenhöhe zu begegnen. Und dann folgt ein sehr bitterer Verhandlungsprozess.

    Die politischen Eliten Russlands haben sich hinter Putin versammelt, so Klaus. Es ist Russlands Krieg, nicht allein Putins. Entsprechend können wir von außen auch nur bedingt einwirken, nur die Rahmenbedingungen setzen. Wer zwischenzeitlich auf die russische Zivilgesellschaft gehofft hatte, muss erkennen, dass sie sich im Würgegriff des Putin-Regimes befindet. Propaganda wirkt eben und die Hoffnung auf gesellschaftliche Gegenkräfte ist eine Illusion. Die Kreml-Eliten müssen einsehen, dass Putin das Problem ist. Und das in so großer Zahl, dass sie nicht direkt aus dem Fenster fallen.

    Michael und Klaus diskutieren die absehbaren Konsequenzen des Kriegs für die Opfer. Noch nie war eine so große Fläche vermint wie heute in der Ukraine. Die Minen zu entfernen, wird Jahre brauchen. Infrastruktur, Industrie, allein die Umweltschäden sprengen unsere Vorstellungskraft. In der Ukraine sind bereits heute größte Mengen unterschiedlichster Giftstoffe aus Deponien und Industriebetrieben in die Umwelt geraten. Und „in die Umwelt“ bedeutet am Ende „in die Menschen“. Hinzu kommen die psychischen Folgen. Klaus zeichnet ein düsteres Bild von dem Ausmaß an PTBS, der posttraumatischen Belastungsstörung. An ihr leiden in und nach anderen Krieg ein Drittel der Soldaten und Soldatinnen - und zahllose Zivilist:innen. Es wird eines Kraftakts der Ukraine bedürfen, nach einem Waffenstillstand wieder zu gesunden und als Gesellschaft auf Dauer lebensfähig zu sein. 

    Zu Gast: Professor Dr. Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen

    Die Universität Tübingen hat Prof. Dr. Klaus Gestwa mit dem Preis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet (2/2024).

    Mehr Podcasts zum Thema:

    #147 Niklas Schörnig: Frieden ist kompliziert

  • Hoffnung ist unsere zentrale menschliche Fähigkeit, sagt die Philosophin Natalie Knapp. Wir brauchen Hoffnung, um uns zu motivieren. Denn letztlich ist es nur die Aussicht auf eine positive Zukunft, die uns in Bewegung setzt. Zum Ankommen braucht es keine Energie, aber zum Loslaufen. Dabei ist es weniger wichtig, ob sich jede Hoffnung genau so erfüllt, wie sie anfangs einmal bestand. Eine bemerkenswerte Parallele zur Zukunftsforschung: Es geht viel weniger ums nachträgliche Rechthaben, stattdessen viel mehr ums Anfangen.

    Fragen wir nicht: Was ist realistisch? Was realistisch gewesen sein wird, sehen wir dann schon noch in der Zukunft. Das klärt sich. Natalie betont: Viel wichtiger und hilfreicher ist es zu verstehen, dass wir Realität schaffen können, indem wir anfangen und gestalten. Die berühmte Politologin und Philosophin Hannah Arendt hat gesagt: Wir bräuchten die Hoffnung nur dann nicht, wenn die Zukunft schon feststünde. Das wäre sicher. Aber dann könnten wir nichts mehr tun, könnten nichts mehr verändern oder bewirken, keine Entscheidung treffen. Insofern ist es absurd zu glauben, dass das Leben besser wäre, wenn es weniger unsicher wäre.

    Natalie singt ein Loblied auf die Unsicherheit. Wir können lernen, gut in Unsicherheit zu leben, können lernen, Lust daran zu entwickeln. Dafür müssen zunächst einmal sortieren, was es bedeutet, unsicher zu sein. Natalie deutet dies so: Spüren wir Unsicherheit, verfügen wir gerade nicht über eine passende Routine. Wer Unsicherheit spürt, weiß gerade nicht automatisiert, wie es geht. Anders gesagt: Es ist hoch professionell, sich ab und zu unsicher zu fühlen. Dann müssen wir anders arbeiten, anders kommunizieren, mehr in den Austausch gehen, Ideen entwickeln und den Kopf einschalten. Gar nicht schlecht, diese Unsicherheit. Wir brauchen eine Neubewertung des unangenehmen Gefühls, das eben keine Angst ist, sondern Unsicherheit.

    Natalie spricht darüber, wie wir in unsicheren Zeiten entscheiden können. Gelernt haben wir, Entscheidungen als Sortieraufgabe zu verstehen. Alle vorhandenen Informationen sichten und ordnen, dann wissen wir was zu tun ist. In der Unsicherheit führt das in die Irre, denn die wichtigen Informationen sind vielfach genau die, über die wir eben nicht verfügen. Im Chaos greift das mechanistische Weltbild nicht mehr. Diese fünf Dinge musst du beachten, dann hält deine Ehe 50 Jahre … funktioniert nicht. Wir müssen stattdessen lernen über Möglichkeiten zu sprechen, über Wahrscheinlichkeiten - und anfangen. Im Rückblick wird ein Leben draus geworden sein.

    Zu Gast: Dr. Natalie Knapp, Philosophin, Keynote Speakerin und Autorin populärer Sachbücher. Sie ist Gründungsmitglied des Berufsverbandes für philosophische Praxis, Dozentin der ZEIT Akademie, der Liechtenstein Academy, der Leuphana Universität Lüneburg und des Netzwerks Ethik. 

    Erwähnungen:

    Nachhaltigkeit, Innovation und organisatorischer Wandel: Rasmus Nutzhorn

    Film: 972 BEAKDOWNS Auf dem Landweg nach New York

    Podcast mit Ralf B. Wehrspohn – Innovation im Plattenbau

  • Unser Diskurs über Freiheit ist ein Armutszeugnis; wir machen die Freiheit kleiner als sie eigentlich ist. In unseren Debatten, in denen wir ständig Verbote wittern und darüber vergessen, dass genau dies eine ganz zentrale Aufgabe von Politik ist: Auszuloten und zu bestimmen, bis wohin wir ein gutes Leben haben wollen - und wo die Grenze dessen erreicht ist. Unspektakulärer geht es kaum. Stattdessen schreien wir vor Aufregung über Bagatellen wie ein Tempolimit und nehmen gleichzeitig Menschen für noch kleinere Kleinigkeiten die Freiheit. Wenige Male Schwarzfahren reicht.

    Arne Semsrott ist - neben vielen anderen Projekten - Gründer des Freiheitsfonds. Der Fonds kauft Menschen aus dem Gefängnis frei, teils einen Monat schon für 50€. Seit der Nazizeit ist Schwarzfahren in Deutschland strafbar. Wer mehrfach erwischt wird und den folgenden Strafbefehl nicht zahlen kann, erlebt die deutsche Besonderheit „Ersatzfreiheitsstrafe“. Damit gehen genau die ins Gefängnis, die es gar nicht sollen. Pro Jahr 10.000 Menschen in Deutschland. Inzwischen sind es die Gefängnisse, die beim Freiheitsfonds anrufen und darum bitten, Menschen freizukaufen. Damit ist die Absurdität auf die Spitze getrieben: Der Staat sorgt dafür, dass die falschen Menschen in Haft kommen - und anschließend bittet der Staat private Organisationen, sie dort wieder herauszuholen.

    Das Thema ist ein Türöffner, sagt Arne, denn wir haben ein Thema mit der Elendskriminalität. Arme Menschen werden systemisch benachteiligt. Schwarzfahren, Ladendiebstahl, die Liste ist lang. Das Bundesjustizministerium hat ein Gesetz zur Entkriminalisierung angekündigt, so weit hat der öffentliche Druck schon geholfen. Allein: Der Entwurf für das Gesetz kommt nicht. Und er muss bald kommen, sonst vergeht diese Legislatur. Wer also ein paar Minuten hat und das Projekt unterstützen will: Ein Brief an Minister Marco Buschmann oder seien Staatssekretär Benjamin Strasser hilft.

    Die Freiheit ist auch aktuell politisch bedroht. Arne hat gerade ein Buch veröffentlicht, das eine Anleitung zum Widerstand bieten soll. Kurz gesagt: Was tun, wenn die AfD und andere antidemokratische Parteien bei den ersten Wahlen tatsächliche Mehrheiten erringen? Die Demokratie wird nicht in einem Knall enden. Die AfD will sie beenden, keine Frage, aber eher in vielen kleinen Schritten. Mehr Menschen in Präventivhaft, Strafanzeigen gegen Journalisten, etc. Die Anknüpfungspunkte sind alle da. Arne sagt: Wir müssen laut sein, es verhindern, aber wirkungsvoll. Und das heißt nicht, den heutigen AfD-Wählern nach dem Mund zu reden und in vorauseilendem Gehorsam erst ihre Talking Points und dann die Positionen zu übernehmen, sondern sich vorzubereiten.

    Arne nennt drei konkrete Schritte:

    Stellen wir uns auf den Wahlabend ein. Wie wird er aussehen, wie sich möglicherweise anfühlen? Wen rufen wir an, um zu sagen: ich bin da?Wie sichern wir die Zivilgesellschaft? Die AfD wird schnellstmöglich den Geldhahn zudrehen wollen, wie können wir Institutionen davon stärker unabhängig machen?Und ein Schritt für alle, die in Behörden arbeiten: Was geschieht, wenn die AfD für mein Amt zuständig wird? Was muss ich umsetzen, welche Informationen kann ich leaken, wie die Prozesse verlangsamen? Arne hat ein ganzes Kapitel seines Buches den Beamten gewidmet, denn ihnen kommt am Ende die Rolle zu, aus AfD-Positionen praktisches Handeln zu machen.

    Nicht gesprochen haben Michael und Arne über Fragdenstaat.de. Auch das macht Arne. Nächstes Mal.

    Zu Gast: Arne Semsrott, Politikwissenschaftler und Aktivist, leitet das Recherche- und Transparenzportal

  • Vielleicht ist der Fehler im System schon daran zu erkennen, dass wir uns auf die großen Ferien freuen - und eher nicht so sehr auf das nächste Schuljahr. Warum eigentlich? Möglicherweise ist das System Schule dabei, von der Welt abgehängt zu werden. Eine gefährliche Spannung: Lernen wird immer wichtiger, aber findet es in der Schule statt? Micha Pallesche ist Schulleiter der vielfach ausgezeichneten Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe. Er zeigt: Schule geht anders. Ja, auch eine ganz normale staatliche Regelschule geht anders.

    Im Podcast berichtet Micha, wie er bewusst gegensteuert. Impulse im Klassenzimmer? Maximal ein Drittel der Zeit. Hinzu kommen ein Drittel Kollaboration und ein Drittel Selbstlernphasen. Aus Lehrern werden Lernbegleiter, die darauf vertrauen, dass die Kinder etwas wollen, und ihnen den Raum dafür geben. Micha setzt darauf, den Schülerinnen und Schüler Aufgaben zu geben, die sie allein nicht lösen können - und für die es oftmals gar keine vorgefertigten Lösungsmuster gibt. Dann passiert etwas. Was wir brauchen, sagt Micha, sind unbestimmte Räume. Denn das zählt zu den Absurditäten des üblichen Schulablaufs: Ein maximal bestimmter Raum soll Menschen auf maximal unbestimmte Räume vorbereiten.

    „Carls Zukunft“ hat vor kurzem ein Whitepaper veröffentlicht, das sich einer ganz einfachen Frage widmet: Was bedeutet Zukunft für Schule? Wenn wir uns allein die Felder anschauen, bei denen sich die Zukunftsforschung stabile Aussagen zutraut: Wer in den 30er Jahren die Schule verlassen wird, tritt in eine Welt, in der Arbeit etwas völlig neues bedeutet. In der neben den Klimaschutz längst die alltägliche Klimafolgenanpassung getreten ist. In der Fakt und Fake medial längst kaum noch zu unterscheiden sind. In der der Krieg seine Wunden und Narben hinterlassen hat. Was folgt daraus? Zumal: Was Unternehmen und Organisationen Zukunft nennen, ist in Schulen Gegenwart: Wer in zehn Jahren die Schule abschließt, ist längst täglich dabei. Zukunft ist hier Gegenwart. Kann Schule das?

    Micha und Michael diskutieren intensiv die zentrale Erkenntnis des Whitepapers: Die wichtigste Aufgabe von Schule ist es, junge Menschen dazu zu befähigen, das Curriculum des eigenen Lebens immer wieder neu zu entwerfen. Das ist mehr als nur lebenslanges Lernen. Wir brauchen die Fähigkeit, immer wieder für uns selbst herauszufinden, was wir lernen wollen und können.

    Zu Gast: Micha Pallesche, Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe

  • Kurzfassung: Das mit der Arbeit wird gerade wirklich komplex. Für Unternehmen bedeutet das: Sie müssen den Umgang mit den Menschen erheblich professionalisieren. Sonst ziehen sie auf dem Jobmarkt bald nicht mal mehr den Kürzeren und gefährden ihre Existenz. So einfach. Das sagt Jutta Rump. Sie ist Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und leitet das Institut für Beschäftigung und Employability.

    Etwas längere Fassung: Wir sehen einen Trend zu mehr Selbstbestimmung im Beruf. Und gleichzeitig den Gegentrend zu mehr Fremdbestimmung. Einerseits partizipative Führung, mobiles Arbeiten, Führen über Aufgaben, etc. Der Gegentrend ist besonders dort sichtbar, wo Automatisierung im Spiel ist. Exakt definierte Prozesse, ohne die Möglichkeit, heute mal abzuweichen. KI verstärkt das noch und ist da im Moment gerade wenig kooperativ. Welcher Trend wird sich durchsetzen? Jutta sagt: Beide. Wir haben es mit einer Polarisierung zu tun und die Extreme verstärken sich.

    Worüber wir nachzudenken haben, ist der Begriff der Zeit. Warum heißt es Frei-Zeit? Ist diese Zeit frei, also verfügbar, nur weil sie nicht bezahlt wird? Man frage kurz alle Alleinerziehenden. Oder die Menschen, die Angehörige pflegen. Oder oder oder. Freizeit ist meist pure Fiktion. Insofern hilft es auch nicht, wenn Unternehmen über den angeblichen „Freizeithunger“ der Menschen lamentieren. Denn zugleich: Was ist mit der Arbeitszeit? Wem kommt es eigentlich zu Gute, wenn eine Aufgabe dank KI in der halben Zeit zu erledigen ist? Hier entsteht Zeitwohlstand. Gehört der dem Unternehmen, das weitere Aufgaben verteilen kann? Oder den Mitarbeiter:innen, die früher Schluss haben? Oder müssen wir über diese Fragen verhandeln? Ja absolut, sagt Jutta. Und da, wo wir dazu noch nicht die Fähigkeiten und die Kultur in Unternehmen haben, da brauchen wir eben: mehr Professionalität.

    Jutta nennt es den Klebe-Effekt. Menschen sollen im Bewerbungsprozess am Unternehmen kleben bleiben. Und später auch. Und dafür braucht es nicht das Jobrad, sondern: Professionelles Lernen, Führung, Teamkultur, Gesundheit, Balance. Natürlich ist das kein Wunschkonzert; es geht darum, gemeinsam zu erarbeiten, was passt und was nicht geht.

    Für Jutta läuft es letztlich auf eine Frage hinaus: Wie gibst du Menschen Sicherheit, in einer Welt, in der es keine Sicherheit mehr gibt? Transparente Kommunikation und professioneller Umgang miteinander sind nötig. Diese Notwendigkeit besteht heute schon - und sie wird noch wachsen, dank der Demografie. Wer hier nicht mithalten kann, wird seine Stellen nicht besetzen können. Dann landet die Arbeit auf den Schultern derer, die noch da sind - bis die dann auch gehen. Ende.

    Der Artikel aus der FAZ, über den Jutta und Michael sprechen, ist hier abrufbar: https://archive.is/CfVKD

    Zu Gast: Prof. Dr. Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) 

  • Wer hat eigentlich die Idee aufgebracht, wir könnten je ausgelernt haben? Auch wenn unser ganzes Schul- und Ausbildungssystem auf dieser Fiktion beruht, es bleibt: Eine Fiktion. Die im Grunde banale Aussage, dass wir immer weiter lernen müssen und werden, wirkt da schon fast revolutionär. Aber wenn dies eine Revolution ist, wird sie von Amanda Maiwald mit angetrieben. Amanda hat das Startup Complori gegründet, das Kindern Programmieren beibringt. Genauer: Mit Grundlagen und immer weiter wachsendem Wissen versorgt, denn fertig wird hier keiner. Kann ja gar nicht sein, angesichts der technologischen Entwicklung.

    Wir hören die besorgten Eltern direkt aufstöhnen: Noch mehr Zeit am Bildschirm? Und das schon für siebenjährige Kinder? Amanda kontert: Soll meine Tochter eine Stunde am Handy hängen und TikTok-Videos durchschollen - oder eine Stunde selber programmieren? Die Betonung liegt in diesem Fall auf „Tochter“. Complori arbeitet gezielt daran, den Anteil der Mädchen in Programmierkursen zu erhöhen. Parität hat auch Complori noch nicht erreicht, aber der Anteil wächst. Für Amanda ein zentrales Thema, gerade mit Blick auf die Konsequenzen. Etliche Algorithmen, die wir heute ständig nutzen haben einen Gender-Bias. Gesundheitsdaten beschreiben männliche Körper, der weibliche Körper hingegen ist in guten Teilen terra incognita. Sexualisierte Gewalt, d*ckpics und co könnten längst zurückgedrängt sein, wenn die Opferperspektive mit in den Algorithmus einfließen würde. Viele Startups und Technologien wurden und werden von weißen Männern entwickelt, um Probleme einer sehr überschaubaren Gruppe von privilegierten Menschen zu lösen, meist eben: weiße Männer. Wer das ändern will, muss an das Fundament, sagt Amanda, und so früh wie möglich ansetzen, um schon Kinder kompetent zu machen.

    Amanda sagt direkt, sie würde sich wünschen, dass es Complori nicht geben müsste. Aber solange die Schulen diese Kompetenzen nicht vermitteln können, sollten wir nicht jammern, sondern loslegen. Und wenn eine Kultusministerin anriefe, um Complori zu schlucken und in die Schulen zu integrieren? Dann sollten wir reden, sagt Amanda. Das Ziel steht: Complori und alle weiteren Akteure auf diesem Feld so groß zu machen, dass wir in zehn Jahren sagen können: Alle Kinder verstehen Programmieren.

    Zu Gast: Amanda Maiwald, Gründerin und CEO Complori

  • Das Klimadilemma hat uns im Griff. Sollen wir in den Abgrund schauen, deprimiert, erstarrt, nicht mehr handlungsfähig? Oder sollen wir positiv sprechen, uns ermutigen, zwar handlungsfähig, aber vielleicht schon wieder so beruhigt, dass wir auch nichts ändern? Verena Kantrowitsch, Psychologin im Team von Psychologists4future, erlebt das Dilemma am eigenen Leib. Im Podcast sagt sie: „Ich habe Phasen, da kann man einfach nur noch einen Fuß aufstampfen.“ Und dann ist sie doch immer wieder auf der Suche, Teil der Lösung zu werden. Der Schlüssel dafür: Verbündete. Niemand verändert etwas allein. 

    Michael und Verena sprechen intensiv über das Modell sozialer Kipppunkte. Was braucht es, um die Normal-Linie unseres Verhaltens zu verschieben? Keine Mehrheiten, das ist durch zahllose Studien belegt. Eher relevante Minderheiten, die sich trauen, in den Dialog zu gehen. Auf zweiten Blick, so Verena, ist es oft überraschend, welche Gedanken die schweigende Mehrheit umtreiben. Die laute Traditionsmehrheit würde Schweigen immer als Zustimmung für sich werten. Häufig genug steckt hinter dem Schweigen etwas ganz anderes. Nicht jeder hat zu jedem Zeitpunkt Lust, in Konflikte zu gehen. Verena leitet die Faustformel ab: Wer sich traut und aufrafft, sich zum Beispiel für mehr Klimaschutz auszusprechen, wird meist dankbare Schweiger finden, die heute gerade nicht sprechen wollen. So können auch kleine Veränderungen große Wirkung entfalten. 

    Wie kommen wir nun aber zu einem veränderten Verhalten in der Gesellschaft? Verena verweist auf die Arbeit von Per Espen Stokness, ein norwegischer Umweltpsychologe. Der hat gezeigt, dass wir nicht nur beschäftigt sind als Vater, Mutter, Partner:in und nicht nur unsere Belastungsgrenzen haben (wie vielen Krisen will ich mich gleichzeitig aussetzen?). Der Kern, der uns den Wandel so schwer macht, liegt auf der Ebene der Identität. Wir sind wer, wir haben es geschafft, was auch immer „es“ ist. Da geht es dann schnell nicht mehr nur darum, ein anderes Verkehrsmittel zu wählen, sondern seinen Status zu ändern, seine Symbole abzulegen,. Was eben noch eine Frage von Klimaschutz war, wird zu einer Neuerfindung des Ich. Schwierig. Umso mehr müssen wir sprechen, Normalität etablieren - und optimistisch bleiben. 

    Zu Gast: Verena Kantrowitsch, Psychologin, Psychologists4future. Das erste Mal war Verena in Folge 109 zu Gast. 

  • Warum ausgerechnet Homo Sapiens? Was war der Schlüssel unseres Erfolgs? Der Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing - und nicht nur er - sagt: Unsere Fähigkeit zur Kooperation. Kooperation ist nicht nur ein Überlebensmechanismus, sondern auch ein Erfolgsfaktor für das menschliche Zusammenleben. Unser Problem: Wir sind zu erfolgreich. Unsere Hoffnung, so Karsten, sollten wir darauf setzen, erfolgreich mit künstlichen Intelligenzen zusammenzuarbeiten. Was das heißt, diskutieren Karsten und Michael in dieser Folge.

    Wir kennen es aus Bio, 8. Klasse: Eine Art, die sich so stark ausbreitet, dass sie ihre eigenen Lebensgrundlagen verbraucht, bricht extrem schnell zusammen und verschwindet. Das beschreibt unsere Lage ganz gut. Spannend ist die Frage, wie wir da rauskommen. Eines unserer Probleme dabei ist unser so ganz und gar nicht rationales Verhalten. Karsten zeigt zahllose Beispiele aus der Tierwelt wie der Wirtschaft, die alle eines gemeinsam haben: Sie zeigen, wie vertrackt unsere Lage wirklich ist.

    Geteilte Verantwortung zum Beispiel führt zu gesteigerter Irrationalität. Wenn alle dieses 2€-Shirt kaufen, kommt es auf mich doch auch nicht an. Das steigert sich bis hin zur Grausamkeit. In Gruppen kommen wir kaum dagegen an. Das führt Karsten zu seiner These: Wenn wir aus uns heraus schon nicht zu besseren Entscheidungen kommen, könnte uns KI helfen? Unterstützend ist das längst Realität, in der Politik, in Unternehmen, in Technologie.

    Wenn wir das aber wollen, warum sollte die KI es tun? Also zu einem Zeitpunkt, wo sie mehr geworden sein wird als ein Werkzeug, das wir nach Belieben an- und wieder ausschalten. Wie wird KI uns einschätzen, wenn sie jederzeit einsehen kann, wie wir sie lange behandelt haben? Letztlich, so Karstens zugespitzte These: Wir sind erdgeschichtlich wahnsinnig erfolgreich - und daher so viele. Damit haben wir die Klimakrise ausgelöst, die unsere Grundlagen und damit uns bedroht. Alle unsere Mechanismen verstärken diesen Effekt immer weiter. Im Grunde bleibt uns nur die Kooperation mit echter KI, um einen Weg zu einem anderen Verhalten als Menschheit zu finden - und damit zu überleben.

    Zu Gast: Karsten Brensing, Meeresbiologe, Verhaltensforscher und Autor

    Buch: Die Magie der Gemeinschaft: Was uns mit Tieren und künstlichen Intelligenzen verbindet (Erscheint am 27.06.2024)

  • Im Grunde wollen ja alle Innovation. Innovation ist wahnsinnig attraktiv. Wenn es aber ans Risiko geht, dass es dabei zu tragen gilt, werden viele wieder zurückhaltend. Für die Wirtschaft, für die Gesellschaft insgesamt, wird das schnell zum Problem. Dieses Phänomen sehen wir vor allem bei den echten Ungewissheiten, wo nicht nur die Lösung unklar ist, sondern auch die Rahmenbedingungen, sagt Ralf Wehrspohn. Ralf ist Physiker und treibt das Thema Innovation, bei Fraunhofer und darüber hinaus.

    Zehn neue Wege stehen zur Wahl, mindestens neun werden scheitern - wer trägt das Risiko für Innovationen? Der Staat? Einzelne Unternehmen? Investoren? Anstatt uns gegenseitig mit solchen Fragen lahmzulegen, sollten wir lieber auf Kooperationen setzen. Ralf macht sich für symbiotische Innovationen stark. Am Beispiel des Lithiums: Wer das begehrte Metall aus dem Erz gewinnen will, erzeugt gewaltige Mengen Abraum. In klassischer Sicht: Ein teures Problem. In Symbiose: Wertvoller Ausgangsstoff für die Bauindustrie. Schon wird Entwicklung günstig und sicher. Wer dann auch noch Recycling-Ströme mitdenkt, ist schon fast bei er Kreislaufwirtschaft angekommen.

    Das Prinzip ist nicht neu. Jeder Chemiepark beruht auf genau diesem Prinzip, hier Stoffverbund genannt. Diese Netzwerk halten die Chemieindustrie am Leben und am Standort. Dennoch, so Ralf, müssen wir gezielt stärker in solchen Verbünden denken. Niemand gewinnt die Innovation allein.

    Das Prinzip trägt auch im gesellschaftlichen Kontext. Ralf berichtet von Projekten im Kontext Demografie, die er begleitet. Die Zahl älterer Menschen, die im Alltag Hilfe benötigen, wird absehbar in den kommenden Jahren stark steigen. Private Pflege für alle scheidet schon aus Kostengründen als Modell für alle aus. Wie aber dann? Man nehme eine traditionelle Großwohnsiedlung - auch Plattenbau genannt - und verwandele sie in eine stabile Lebenswelt, mit MVZ, Pflegedienst, entsprechenden Technologien im Haus und Integration der Krankenkasse. Schon ist die Symbiose entstanden, in der der Erfolg des einen zur Voraussetzung des Erfolgs des anderen wird.

    Das Beispiel zeigt: Was uns fehlt, ist vielfach das Zutrauen in Kooperationen. Geld jedenfalls ist genug im System, sagt Ralf (und erwartet Widerspruch…). Wenn überhaupt, müssen wir lernen, Geld anders zu verteilen. Weg von starren Meilenstein-basierten Projektplänen, die nur bei inkrementellen Innovationen hilfreich sind. Da, wo es um das wirklich Neue geht, brauchen wir die systematischen Tugenden, die wir von Universitäten schon lange kennen: Kluge Menschen, stabile Grundfinanzierung, attraktive Ziele. Und auf geht es.

    Zu Gast: Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, Innovator, Gründer, Wissenschaftsmanager, Universitätsprofessor, Dochsager.

  • Kann eine neue Chemie die Welt retten? Jedenfalls kann sie die Welt grundlegend verändern. Grünes Methanol, Kohlenstoff, Katalyse sind die Stichworte. Wenn dieser Wandel gelingt, ist das mindestens einen Nobelpreis wert, sagt Christian Vollmann. Er ist einer der Gründer von C1 und diese Woche zu Gast bei Michael.

    Doch der Reihe nach: Kohlenstoff ist der grundlegende Baustein unseres Wohlstands. Seit Jahrhunderten nutzen wir ihn, um Kunststoffe, Treibstoffe und eine Vielzahl von Produkten herzustellen, die unseren Alltag prägen. Genommen haben wir diesen Kohlenstoff hauptsächlich aus fossilen Quellen - Öl, Gas und Kohle - und am Ende landet er in der Atmosphäre als CO2. Davon landet dort so immer mehr, die Folgen sind bekannt. Entnehmen wir den Kohlenstoff hingegen aus der Luft und nutzen diesen dann für Produkte oder Treibstoffe, entsteht ein Kreislauf. In der Atmosphäre landet immer nur das CO2, das vorher schon dort war.  

    Wie kommen wir an diesen Kohlenstoff? Der menschengemachte Elektroweg ist noch in Entwicklung. Aber nehmen wir doch Pflanzen. Wann immer die Sonne scheint, gewinnen sie Kohlenstoff aus der Luft, um damit zu wachsen. Damit ist der Kreislauf schon fast geschlossen. Aber wie werden Pflanzen zu Ausgangsstoffen der chemischen Industrie, wie zu Treibstoff? Indem wir aus ihnen Methanol erzeugen. Einfachen Alkohol, den, der blind macht. Damit schließen wir den Kohlenstoff-Kreislauf. Nutzen wir dafür erneuerbare Energien, ist das Methanol grün.

    Bislang ist das Verfahren aufwändig, schwerfällig, wenig flexibel und braucht große Mengen Energie. Hier kommt C1 mit ihrer neuen Chemie ins Spiel. Geht der Plan auf, können sie in drei Jahren die erste kommerziell taugliche Produktion in Betrieb nehmen.

    Der Bedarf ist gigantisch. Schifffahrt, Langstreckenflugzeuge und chemische Produktion. Überall, wo es um die stoffliche Nutzung von Kohlenstoff geht - oder sich Antriebe nicht elektrifizieren lassen. (Das schließt Autos ausdrücklich aus. Wer immer noch an eFuels in Autos glaubt, muss wirklich noch einmal in den Chemie-Unterricht. Ganz vorne anfangen).

    Das Team von C1 revolutioniert auf diesem Weg die etablierten Verfahren in der Chemieindustrie. Wie? Erläutert Christian. Sie wollen dreimal so schnell sein. C1 hat eine neue chemische Methode zur Katalyse entwickelt, die effizienter und weniger energieintensiv ist als bisherige Verfahren. Nicht im Labor, sondern im Rechner. Sie verändern das Ziel: Es geht um viele kleine und mittlere Anlagen, nicht unbedingt die großen. Und bei Erfolg werden wir binnen 15 Jahren die verfügbaren Pflanzenquellen alle erschlossen haben. Bis dahin muss der Elektroweg funktionieren, Kohlenstoff direkt aus der Luft zu gewinnen. Und diesen Erfolg, den brauchen wir.

    Zu Gast: Christian Vollmann, Founder and CEO C1 Green Chemicals AG

  • Schon wieder Hochwasser. Ein Jahrhundertereignis, ebenfalls: Schon wieder. Oben auf der Welle schwimmt die Zukunftsfrage: Können wir uns eigentlich an ein neues Klima anpassen? Im Gespräch sind gleich zwei Experten für Hochwasser und Katastrophenmanagement. Holger Schüttrumpf leitet das Institut für Wasserbau an der RWTH Aachen, Jörn Birkmann das Institut für Raumordnung an der Universität Stuttgart. Beide gemeinsam begleiten im Projekt KAHR den Wiederaufbau an der Ahr. KAHR steht für Klima-Anpassung, Hochwasser-Resilienz. Und genau darum dreht sich dieser Podcast: Können wir aus Katastrophen lernen und uns anpassen? Und wenn ja, was bedeutet das?

    Holger und Jörn betonen: Wir brauchen differenzierte Sicherheit. Krankenhäuser und Feuerwehren müssen auch unter extremen Bedingungen möglichst lange funktionieren. Weg von der Hafenkante damit, oder gleich auf Stelzen. Und muss man das Umspannwerk unbedingt dorthin bauen, wo es zufällig gerade flach ist, also ins Flusstal? Die beiden sind sehr deutlich: Wir werden nicht jedes Eigenheim genauso schützen können. Zumal Sicherheit zu einem beweglichen Ziel wird. Wo ist denn nun HQ100 - also das Gebiet in dem wir statistisch einmal pro hundert Jahre mit Überschwemmung rechnen? Schätzen wir das in zehn Jahren anders ein? Und wo dokumentieren wir das eigentlich? Wir bräuchten so etwas wie einen Hochwasser-Pass. Jörn beklagt, dass wir zwar groß darin sind, Faltblätter zu erstellen, um Informationen breit zu streuen. Aber wenn es an die Baugenehmigung geht, dann spielen Katastrophenthemen keine Rolle mehr.

    Es ist trügerisch zu glauben, dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit auch die Lösungen für die Zukunft bieten. Wir wissen im Grunde, wie resilient bauen geht. Wir tun es nur nicht. Dabei würden schon kleine Maßnahmen helfen. Keller einen Meter höher, ein paar Stufen oder eine Rampe zur Tür. Den Strom nicht in den Keller. Und die Ölheizung? Die ist insgesamt ein Problem: Schwimmt der Tank auf, wird das Haus zum Sondermüll, das Nachbarhaus meist auch und die Natur drum herum …

    Insgesamt sind wir langsam. Vor zehn Jahren wurde das Nationale Hochwasserschutzprogramm aufgelegt. 168 Maßnahmen. Davon sind genau neun umgesetzt und abgerechnet. Neun. Dabei lohnt sich Prävention, gerade finanziell. Anpassung war lange ein Thema, um das die Klimadiskussion einen Bogen gemacht hat. Niemand wollte den Eindruck erwecken, wir könnten uns weniger um Klimaschutz bemühen, weil wir uns ja anpassen könnten. Außerdem ginge die Anpassung doch vor allem kleine Inselstaaten in der Südsee etwas an. Inzwischen wissen wir: Wir brauchen beides: Klimaschutz und Anpassung. Das gilt gerade beim Wasser: Wir brauchen es und müssen uns zu gleich davor schützen.

    Beide sind sich im Fazit einig: An die großen Trends können wir uns anpassen. Also zum Beispiel die zunehmend ungleiche Verteilung der Niederschläge übers Jahr ausgleichen. Bei den Extremen geht das nicht, jedenfalls nicht zu 100%. Wir wissen nämlich nicht: Wie extrem kann ein Extrem werden? Wir haben technische Grenzwerte, die aber nichts darüber aussagen, ob dieser Grenzwert überschritten wird und wie oft. Wir müssen lernen, das zu akzeptieren: Wir können nicht alle Extreme abpudern. Wir können Todesopfer weitgehend vermeiden, aber Schäden? Nein. Dafür haben wir viel zu dicht und viel zu nah am Wasser gebaut.

    Zu Gast:

    Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW) RWTH Aachen University

    Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann, Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS)...

  • Wie bitte? Deutschland, kein Autoland? Andreas Knie diagnostiziert: Deutschland war ein Fahrradland. Ein Motorradland. Das Auto wurde für einen Österreicher erfunden, von den Amerikanern in Masse produziert, in zahlreichen anderen europäischen Ländern viel stärker verbreitet - bis Hitler kam und das Auto zum Symbol für Fortschritt und Technologie erhob. Damit begann eine nachholende Modernisierung. Erst in den 70ern im Westen und in den 90ern im Osten kam Deutschland auf das Niveau anderer Länder. Andreas Knie ist Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Soziologie an der TU Berlin. Er sagt: Die Nachhol-Dynamik wirkt bis heute und prägt unser irrationales Verhältnis zu Auto und Mobilität.

    Warum tun wir uns so schwer, eine Mobilität zu denken - oder gar zu realisieren, die nicht das Auto in den Mittelpunkt stellt? Andreas schildert, mit welchem Mindset Politik und Verwaltung Verkehr planen. Im Verkehrsministerium gibt es am Ende nur eine Wahrheit: Was fehlt, sind Straßen. Und Brücken. Und noch mehr Straßen. Denn es gibt Lücken, überall Lücken. Daher müssen wir bauen, bauen, bauen. Als wäre Mobilität wie Wasser: Es kommt, es fließt, es wird immer mehr  - und da kann man auch gar nichts tun, als es immer wieder in die richtigen Bahnen zu lenken - und die Bahnen ständig zu vergrößern. Wer Fakten, Wissenschaft, Empirie dagegen hält, erntet ein beherztes „Glaube ich nicht“. Andreas’ Fazit: Wir werden von Ideologen regiert.

    Dabei gibt es Wandel, nur eben nicht in der Politik. Die Mehrheit der Autofahrenden hat die Strecken reduziert, vor allem aus Klimaschutz-Gründen. Und wenn die CDU im Wahlkampf plakatiert: „Hände weg vom Auto!“, dann sieht Andreas die Debatte auf dem richtigen Weg. Wenn das Auto nicht mehr selbstverständlich ist, sondern begründet und verteidigt werden muss, dann kann etwas neues entstehen.

    Das Narrativ der Technologie Auto ist auserzählt. Freiheit und Wohlstand waren seine Themen, Vernetzung und Teilhabe. Fun fact: Die Scheidungsrate korreliert mit der Anzahl der Autos; Beweglichkeit wirkt. Das neue Narrativ der Mobilität: Autos schaden uns mehr als sie uns nützen. In einer vernetzten Mobilität der Zukunft reichen 25% der heutigen Autos, um ohne Einschränkungen mobil zu sein. Der Rest steht herum, raubt Platz, dominiert unser Bild von Straßen, Städten und Raum. In Berlin allein sind das 900.000 Fahrzeuge. Einfach überflüssig. Aber wir glauben immer noch, uns würde etwas weggenommen, wenn Parkplätze entfallen (Übersetze: Wenn wir Raum für Menschen gewinnen), Fahrspuren aufgehoben werden (Fahrradfahrende sicher unterwegs sein können), etc. Es ist ein Prozess. Und er wird dauern. Aber er ist nicht mehr aufzuhalten. In 15 Jahren, so die Einschätzung von Andreas, werden unsere Städte anders aussehen als heute. Eben doch kein Autoland.

    Zu Gast: Prof. Dr. Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - WZB, Professor für Soziologie an der TU Berlin

  • Daniel Feyler ist bekennender Versicherungsfan, seit Jahren in der Branche tätig, Schwerpunkt Startups und Innovationen. Er sagt: Das Prinzip Versicherung ist sinnvoll und extrem zukunftsfähig, wenn es auch in der Regel ein schlechtes Geschäft ist. Versicherungen gleichen Schäden aus, sie nehmen dafür Prämien - und machen Gewinn. Für die Versicherten also immer ein schlechtes Geschäft. Allerdings an der richtigen Stelle auch ein notwendiges. Daniels Faustregel zur Bestimmung des eigenen Risikos: Würde dich der Schaden in den Ruin treiben oder könntest du ihn zähneknirschend selbst begleichen? Das eine bitte versichern, das andere nicht. Das Haus gegen Feuer absichern, aber das Handy …?

    Vor wenigen Jahren pflegte die Versicherungsbranche noch eine bunte, etwas poppige Vorstellung ihrer Zukunft, in der wir alle auf dem Handy oder auf der Uhr irgendwelche fancy Versicherungen abschließen, die tief in Berlin-Mitte von ein paar Hipstern im Startup-Hub einer ansonsten eher behäbigen Versicherung erdacht wurden. Daran glaubt wohl kaum ein Mensch mehr. Es ist ja auch kein Versicherer aus dem Markt gedrängt worden. Soweit hat die Disruption schon mal nicht funktioniert. Andererseits hat die InsurTech-Welle der Mitte der 10er Jahre bei den Versicherungen enorme Investitionen in IT ausgelöst. Daniel betont, dass es diese ohne die InsurTechs wahrscheinlich nicht gegeben hätte.

    Und die InsurTechs selbst? Viele InsurTechs sind hart mit der Realität in Kontakt gekommen. Daniel sieht hier vor allem die Regulatorik wirken. Vor wenigen Jahren noch als Geißel beklagt, hat sie sich für die Versicherungen auch als Schutz erwiesen, als Barriere gegen Disruption von außen. Fast alle IsurTechs, die selber als Versicherer Kunden gewinnen wollten, haben ihr Geschäftsmodell inzwischen umgestellt und arbeiten in Kooperation mit den Versicherern. Die InsurTechs sind vielfach ausgelagerte Technologiezentren der etablierten Großen geworden.

    Die zentrale Zukunftsfrage der Versicherung ist technologiegetrieben. Die intelligente Analytik wird immer feiner, die Bewertung einzelner Risiken immer genauer. Versicherungen können immer präziser bestimmen, welches „gute“ Risiken sind und welche nicht. Kurzfristig verbessert das die Bilanz. Langfristig kann das Prinzip Versicherung damit dem eigenen Erfolg zum Opfer fallen. Stabilität, Sicherheit und Gemeinschaft machen das Prinzip der Versicherung aus. Wenn Gemeinschaft irgendwann darin besteht, dass nur noch bestimmte Einzelrisiken versicherbar sind (und das auch noch diejenigen sind, die kaum ein tiefes Risiko darstellen), höhlt sich die Versicherungswirtschaft selbst aus. Lösung? Offen.

    Zu Gast: Daniel Feyler, Co-Founder und Gesellschafter des InsurTechs ePrimus und investiert als Business Angel in weitere InsurTechs.